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Bestiarium

Bestiarium

Titel: Bestiarium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tobias
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betrachten durfte. So banal sei das Ganze, hatte Martin gesagt. Aber es gab auch noch eine andere Erklärung, zu der Margaret gelangt war: Dieses Gefecht und der Tod von Martins Vater waren Teil einer ständigen Auseinandersetzung, des wichtigsten Kampfs, der je ausgefochten wurde und bei dem es um nichts anderes ging als um den Besitz der bedeutendsten Kunstsammlung aller Zeiten. Und wenn das, was James angedeutet hatte, nicht nur symbolisch, sondern wörtlich gemeint war, ging es auch um den Besitz des Ursprungs des Lebens - des Garten Eden.
    Margarets Herz klopfte heftig. Rein sachlich betrachtet wusste sie, dass Martin einen Memlinc (oder Memling, wie es einigen lieber war) erkennen konnte, wenn er ihn sah. Und er kannte sich im Immobiliengeschäft aus. Wenn es sich mit dem Château so verhielt, wie Martin erklärt hatte, dann stand sein enormer Wert außer Frage. Soweit sie wusste, gab es nirgendwo in Frankreich Anwesen vergleichbarer Größe. Wie es der Aufmerksamkeit der Behörden hatte entgehen können, war sicherlich ein Rätsel, es sei denn - natürlich —, dass es bei den »Behörden« jemanden mit großem Einfluss gab, dessen Anweisungen man sich beugen musste. Der französische Präsident? Der Papst? Die Königin von Holland? Das Ganze kam ihr völlig absurd vor, aber die Macht der Renaissance-Orden stand außer Zweifel, und das Goldene Vlies regte die Fantasie nun mal auf unnachahmliche Art und Weise an.
    Die Geschichte des Ordens war höchst verwickelt, und seine ersten Mitglieder waren genau jene Kunstmäzene, deren Wirken die Renaissance erst in Schwung gebracht hatte.
    Maria wurde am 13. Februar 1457 geboren und starb am 27. März 1482. Sie war das einzige Kind des Herzogs von Burgund, Karl dem Kühnen, und seiner geliebten Ehefrau Isabella von Bourbon und erbte das größte Königreich zwischen Istanbul und London, als ihr Vater in der Schlacht von Nancy den Tod fand. Sie war damals neunzehn Jahre alt und plötzlich der Gnade Ludwigs XI., König von Frankreich, ausgeliefert. Er nahm ihr die ihr rechtmäßig zustehende Herzogswürde und machte Anstalten, sie zu heiraten. Sie wehrte sich dagegen, traf sich insgeheim mit ihren Verbündeten in Holland, gewann an Stärke und Einfluss und nahm sich den zukünftigen Kaiser von Österreich, Maximilian, zum Mann. Durch diese Geste löste sie einen zweihundertfünfunddreißig Jahre währenden Streit zwischen Frankreich und den Habsburgern aus und gebar zwei Söhne und eine Tochter, denen zusammengenommen die halbe westliche Welt gehörte. Einer dieser Abkommen schien Martins Urahn zu sein. Aber welcher? Und wie sollte all das dieses Buch von unschätzbarem Wert, von dem Martin gesprochen hatte, wieder in ihren Besitz bringen?
     
    James hatte im Galeriesaal im Parterre soeben seine Waffe schussbereit gemacht, als sich am Rand seines Gesichtsfeldes ein Schatten bewegte.
    »Lassen Sie es fallen«, sagte Raoul.
    James blieb reglos stehen und zielte weiter mit dem Gewehr auf den Eindringling.
    »Ich weiß, wer Sie sind.«
    »Dann wissen Sie auch, dass ich keine Sekunde zögern werde abzudrücken.«
    »Die Tiere sind im Wald. Sie kommen so gut wie nie ins Château. Ich denke, das wissen Sie.«
    »Geben Sie mir die Handschrift.«
    James tat so, als schaue er sich suchend um. Sie befanden sich in der Bibliothek.
    »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.«
    Raoul betrachtete sein Opfer mit einem grausamen Lächeln, enttäuscht und gierig zugleich. Und selbstsicher.
    »Wo ist sie? Sie haben eine Minute Zeit.«
    »Sie irren sich. Ich habe alle Zeit der Welt.« Und sein Finger krümmte sich um den Abzugshebel.
     
    Jean-Baptiste Simon war weniger als einen Kilometer vom Château entfernt, als er die frischen Reifenspuren eines Fahrzeugs entdeckte, das von der langen morastigen Straße in den Wald abgebogen war, auf einen schmalen Weg, der vermutlich zum Abtransport von Totholz benutzt wurde. Er stieg aus seinem Wagen, ergriff seine Schusswaffe und folgte der Spur. Nach wenigen Minuten fand er das versteckte Fahrzeug, einen Postwagen. Vorsichtig näherte er sich ihm in geduckter Haltung, wobei er ständig damit rechnete, aus dem Hinterhalt beschossen zu werden.
    Er erreichte den Lastwagen und schlug mit einem Stein, den er unterwegs aufgehoben hatte, das Fenster auf der Beifahrerseite ein. Er schob seine Pistole durch die Öffnung, aber niemand befand sich im Führerhaus.
    Er wirbelte herum, darauf vorbereitet, sich sofort gegen einen Angreifer zu Wehr zu setzen, der

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