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Bestiarium

Bestiarium

Titel: Bestiarium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tobias
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der Führer selbst den Wunsch danach äußerte. Dieser Gedanke, aus nichts anderem entstanden als aus einem starken Wunsch, machte Margarets Aufgabe erheblich einfacher, und sie war die Erste, die das so sah. Ein Komplex, die Hofburg, der aus zahlreichen Kirchen, Gewölben, Tausenden von Räumen, aus Wachpersonal und allen möglichen Verstecken bestand - ohne einen Ortskundigen wäre es unmöglich, etwas zu finden, das nirgendwo verzeichnet war. Aber der Neunte Bezirk bestand andererseits auch aus wahrscheinlich sieben Quadratkilometern Großstadtleben.
    Tatsächlich waren ihre ziemlich gewagt anmutenden Überlegungen ohne praktischen Nutzen, und sie wusste es. Sie saßen fest.
    Das Zimmertelefon klingelte.
    »Ja, bitte?«, sagte Martin ruhig.
    »Sie haben einen Besucher, Sir. Er fährt soeben mit dem Lift nach oben.« Und die Stimme, die keinen Zweifel daran ließ, dass ihrem Besitzer die Privatsphäre seiner Gäste über alles ging, unterbrach die Verbindung.
    »Zur Treppe«, sagte Martin und geriet in Panik.
    »Wie bitte?«
    »Ein Tipp vom Empfang. Jemand ist uns auf den Fersen, nehme ich an, und sie kommen herauf.«
    Margaret zog das Stromkabel ihres Computers heraus und verstaute ihn zusammen mit der wertvollen Gästeliste in ihrer Reisetasche, raffte ihre wenigen anderen Utensilien zusammen, blickte durch den Türspion hinaus in den Flur, huschte zusammen mit ihrem Mann aus dem Zimmer und rannte dann immer zwei, drei Stufen auf einmal nehmend die Treppe hinunter.
    Schon nach einer Minute hatten sie das Hotel durch den Vordereingang verlassen.
    »Merde!«, fluchte Jean-Baptiste Simon, als er begriff, dass er sie verfehlt hatte.
    Er stürmte heftig atmend nach unten, wobei seine Hand kaum das Geländer berührte, und erreichte den Ausgang gerade noch rechtzeitig, um einen halben Block entfernt ein Mercedes-Taxi, dessen beide Insassen der Beschreibung Martin und Margaret Oliviers entsprachen, in zügiger Fahrt verschwinden zu sehen. Er hatte vorgehabt, das Geheimnis um diese beiden Leute möglichst unauffällig aufdecken zu können. Er hatte keine Ahnung, was sie vorhaben könnten, ob sie bei den Morden ihre Finger mit im Spiel gehabt hatten oder ob sie selbst vor den Mördern auf der Flucht waren.
    Simon rief per Mobiltelefon sein Team in Antwerpen an. »Gibt es etwas Neues?«
    »Jean, Hubert berichtet, Sie hätten den Tatort gesichert. Stimmt das?«
    »Ja. Was noch aussteht, ist ein gründliches Verhör des einzigen Verdächtigen.«
    »Nun, jetzt haben wir drei. Wir haben es geschafft, den Computer der Oliviers zu hacken. Ziemlich beeindruckende Technologie, um das zu schaffen, muss ich sagen. Was geschah 1939 in Wien, und was bedeutet die Zahl Neun für Sie?«
    »Neun? Mal sehen ... Das müsste der September sein. September 1939. Der Monat, in dem Hitler in Polen eindrang.«
     
    Der Fahrer sah sie abwartend an und schwieg.
    »Einen Moment, bitte«, seufzte Martin und wandte sich Hilfe heischend zu seiner Frau um.
    »Es gibt da einen Bunker, eine Art Museum im Neunten Bezirk, der an die Befreiung Österreichs nach dem Krieg erinnern soll. Das dürfte es nicht sein. Das Liechtenstein-Museum, nein, das ist zeitgenössisch. Das Freud-Haus ...« Sie blätterte durch den Lonely Planet -Reiseführer, den sie sich beim Hinausgehen gegriffen hatte. »Der Geburtsort Schuberts. Aber er taucht weder in der Gästeliste auf, noch wohnte er im Neunten Bezirk.«
    »Aber ich dachte, du hättest den Neunten Bezirk genannt.« Martin war völlig ratlos. »Vielleicht ist der Monat September gemeint.«
    »Nein. Wie konnte ich das nur übersehen haben? Es ist die Neunte Sinfonie.«
    »Verdammt!«
    »Was?«
    »James sagte das Gleiche. Beethoven besuchte das Château, dann kehrte er nach Hause zurück und komponierte die Neunte Sinfonie.«
    »Woher weiß James das?«
    »Er weiß es nicht«, gab Martin zu.
    Aber es reichte aus, um Margaret noch hektischer werden zu lassen. Das Problem war nur, dass sie sich aus Martins Sicht verzweifelt an etwas klammerten, das sie nicht weiterbringen würde.
    »Ode an die Freude. Das Gedicht von Friedrich Schiller. Ich kenne es.« Sie begann zu rezitieren. »Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium.« Und schloss: »Deine Zauber binden wieder, was die Mode streng geteilt ... streng geteilt, und da fehlt eine Zeile. Ich erinnere mich nicht, oh ... es endet mit ... wo dein sanfter Flügel weilt.« Sie dachte daran, die Melodie zu summen, und ihre Begeisterung riss sie dazu hin, tatsächlich

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