Bestien
»Ich verstehe einfach nicht,
warum du so sauer bist«, sagte er.
Zusammen gingen sie zum Ausgang. »Ich glaube, ich bin
nicht wirklich sauer«, sagte sie. »Ich war bloß …« Sie sah ihm
einen Augenblick mit gerunzelten Brauen ins Gesicht und
unterließ es, die Worte zu sagen, die ihr auf der Zunge lagen.
»Ach, egal«, sagte sie. »Wohin gehst du? Willst du dir was zu
essen holen?«
Mark schüttelte den Kopf. »Kann nicht. Ich habe eine
Verabredung mit Dr. Ames.«
Lindas Brauen zogen sich wieder zusammen. »Wieso?«
»Er macht bloß eine Untersuchung«, erwiderte Mark
zerstreut; sein Blick überflog die Schülermenge, die zum
Ausgang drängte. »Hast du denn Robb irgendwo gesehen?«
Linda war verwirrt. »Robb?« fragte sie. »Ich dachte, ihr
hättet gestern Streit gehabt?«
Mark grinste. »Das stimmt. Und ich hätte es ihm schon noch
gezeigt, wenn deine Mutter nicht dazwischengekommen wäre.
Jedenfalls muß er auch zum Sportzentrum. Er sagte, wir
würden uns hier treffen.«
Gerade in diesem Augenblick kam Robb aus dem Korridor
des Ostflügels, und warf seiner Schwester die Schulmappe zu.
»Nimm sie mit nach Haus, ja?« sagte er.
Linda gab ihm einen verdrießlichen Blick. »Und wenn ich
es nicht tue?«
»Aber du wirst es tun. Schließlich willst du vor deinem
Freund nicht wie eine Ziege dastehen, nicht?« Er kicherte, als
Linda und Mark erröteten, dann versetzte er Marks Oberarm
einen leichten Schlag. »Komm mit – Ames hat etwas gegen
Leute, die zu spät kommen.«
Mark zögerte nur eine Sekunde und wandte sich ab, bevor er
den finsteren Ausdruck sehen konnte, der in Lindas Augen
kam. Gemeinsam mit Robb lief er die Stufen hinunter und
trottete zum Fahrradständer. Als Robb aufsaß und das Rad in
Bewegung setzte, sprang Mark auf den Gepäckträger und
fühlte, wie das Metallgestänge unter seinem Gewicht ein wenig
nachgab.
»Meine Fresse«, beklagte sich Robb. »Wieviel wiegst du
eigentlich?«
»Fünf Pfund mehr als letzte Woche«, erwiderte Mark.
»Alles Muskeln, also nimm dich lieber in acht!«
Linda stand auf der obersten Stufe unter den Säulen des
Eingangs und sah den beiden Jungen auf dem Fahrrad mit
gemischten Gefühlen nach. Zwar fand sie es nett, daß Robb
und Mark wieder Freunde wurden, und sah auch ein, daß sie
von Mark nicht immerwährende Unveränderlichkeit erwarten
konnte, doch meldete sich noch immer eine kleine Stimme in
ihr, die ihr sagte, daß etwas nicht in Ordnung war, daß Mark
sich in Wirklichkeit gar nicht veränderte.
Statt dessen hatte sie das unheimliche Gefühl, daß er
verändert wurde, und daß er es selbst nicht wußte. Bekümmert
hängte sie sich Robbs Mappe über die Schulter und machte
sich auf den Heimweg.
»So ist’s richtig!« rief Dr. Ames aus, als er ins Untersuchungszimmer schritt, wo Mark in der Unterhose stand. Eine
Schwester hatte bereits seinen Blutdruck und Puls gemessen,
ihn gewogen, seine Größe gemessen und die Lungenkapazität
überprüft. »Wie fühlst du dich?«
»Großartig«, sagte Mark. »Ich habe wieder ein paar Pfund
zugenommen und bin einen Zentimeter gewachsen.«
Ames zog anerkennend die Brauen hoch und überflog die
neueste Statistik, welche die Schwester bereits in Marks EDVgespeicherte, medizinische Akte eingegeben hatte. »Die
Lungen sind auch ein paar Kubikzentimeter hinaufgegangen«,
bemerkte er. Sein Blick ruhte prüfend auf Mark. Die Blutergüsse in seinem Gesicht waren fast vollständig verschwunden, nur eine dünne Narbe über der Augenbraue markierte die
Stelle, wo er die Platzwunde davongetragen hatte. »Noch
Schmerzen in den Rippen?« Mark schüttelte den Kopf. »Nun,
in diesem Fall erkläre ich dich für gesund.«
Mark war enttäuscht. »Sie meinen, das ist alles?« fragte er
unsicher. »Ich bin hier fertig?«
»Das sagte ich nicht«, antwortete Ames schmunzelnd »Im
Gegenteil, jetzt beginnt die eigentliche Arbeit. Die Vitamine
sind gut und schön, aber die meiste Arbeit mußt du selbst
leisten. Zieh dir eine Turnhose an und komm mit!«
Mark grub die Turnhose aus seiner Schultasche, dann zog er
sie und die Socken und Tennisschuhe an. Den Rest seiner
Kleider und die Schultasche ließ er liegen, wo sie waren, und
folgte Ames aus dem Untersuchungszimmer durch den
Korridor in einen der Übungsräume. Er war früher schon hier
gewesen und hatte gelernt, wie jedes der Geräte arbeitete und
auf seine Muskeln einwirkte, aber heute führte Ames ihn weiter
in den Raum, wo Robb Harris bereits auf einem Trockenruderer saß und wie gebannt auf
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