Bestien
Mark und sie hatten sich auf den duftenden
weichen Nadelboden unter die Bäume gesetzt, während Chivas
bei den Felsblöcken am Bachufer herumschnüffelte und an
einem Loch scharrte, das irgendein Tier dort gegraben hatte.
Plötzlich hatte Mark einen Stein aufgehoben und auf Chivas
geworfen. Der Hund hatte vor Schmerz aufgejault, sich
herumgeworfen und auf den Boden gelegt und Mark einen
Augenblick vorwurfsvoll und traurig angesehen, um dann mit
eingezogenem Schwanz in den Wald fortzuschleichen.
»Warum hast du das getan?« hatte Kelly gefragt.
Mark hatte nicht geantwortet. Statt dessen war er einfach
aufgestanden und fortgegangen und hinter Chivas im Wald
verschwunden.
Das hatte ihr nicht gefallen – sie wußte, daß Mark sie nicht
allein lassen sollte –, aber anfangs war sie unbesorgt geblieben.
In ein paar Minuten, so hatte sie sich gesagt, würde er zurückkommen, und Chivas würde bei ihm sein. Und dann würden sie
wieder heimgehen.
Aber Mark war nicht zurückgekommen. Sie hatte gewartet
und gewartet. Und auf einmal hatte sich alles verändert.
Die herabhängenden Fichtenäste – eben noch so schützend
über sie gebreitet – erschienen ihr jetzt wie Arme, die sich ausstreckten, sie zu ergreifen.
Auch die Sonne war verschwunden, und zuerst dachte sie,
es sei nichts weiter als eine vorbeiziehende Wolke. Dann aber
war es dunkler geworden, und sie hatte die ersten Regungen
von Furcht verspürt.
Wieder rief sie Mark beim Namen, aber wie zuvor, blieb sie
auch jetzt ohne Antwort.
Sie krabbelte auf die Füße. Sie brauchte nur dem Bachlauf
zu folgen, und bald würde sie aus dem Hügelland hinaus und
wieder ins Tal kommen; dort würden sie die vertrauten Häuser
und Geschäfte der Stadt erwarten.
Doch als sie ging, schien sich der Weg zu verändern,
schmaler und schmaler zu werden, bis sie ihn kaum noch
erkennen konnte.
Und nun hörte sie Geräusche.
Zuerst waren es Schreie, die aus weiter Ferne zu ihr
drangen. Aber bald ertönten sie näher, und Kelly blieb
angstvoll stehen und lauschte.
Die Geräusche näherten sich mehr und mehr, und andere
kamen hinzu.
Zuerst waren es neben den Schreien seltsame, erstickte
Laute wie Stöhnen oder Schluchzen. Diese gingen jedoch bald
in eine Kakophonie von Schreien über, die von den Hügeln
ringsum widerhallten, und Kelly erschauerte.
Ihre Augen suchten die Dunkelheit ab, hielten Ausschau
nach dem Ursprung der schrecklichen Geräusche.
Irgendwo hinter ihr knackte ein Zweig, und sie flog herum,
konnte aber nichts sehen.
Ein anderer Zweig knackte, diesmal aber kam das Geräusch
aus einer anderen Richtung.
Sie fing an zu laufen, doch schien jeder Schritt eine
Ewigkeit zu beanspruchen. Ihre Füße waren schwer; sie konnte
sie kaum bewegen. Sie wollte Mark rufen, daß er komme und
ihr helfe, doch war ihre Kehle wie zugeschnürt, und alles, was
hervorkam, war ein schwaches Krächzen.
Sie waren jetzt überall im Umkreis, wer oder was immer sie
waren, und Kelly glaubte ihr Schnüffeln und Schnauben zu
hören, mit dem sie ihre Witterung suchten.
Sie wußte, was geschehen würde, wenn sie sie fänden. Sie
würden sie umkreisen, von allen Seiten herandrängen, mit
gelben Augen, die böse in der Dunkelheit glommen, mit
speicheltriefenden Fangzähnen.
Auf einmal sah sie einen von ihnen.
Er war groß – größer als alles, was sie je gesehen hatte.
Er hatte lange Arme mit gekrümmten Klauen, die sich von
den Fingern erstreckten und beinahe den Boden berührten.
Er arbeitete sich grunzend durch den Busch, und sie bekam
einen ekelhaft sauren Geruch in die Nase. Er war beinahe über
ihr, und sie sammelte, was an Kräften noch in ihr war, zu
einem letzten Schrei.
Darüber wachte sie auf, und ihr ganzer Körper zuckte vor
Angst wie im Krampf.
In der Dunkelheit lauerte noch immer das Bild des
Ungeheuers, und aus der Ferne vernahm sie die Schreie der
anderen. Sie winselte, zog die Decke um sich, und dann brach
ein zweiter Schrei von ihren Lippen, als die Zimmertür
geöffnet wurde.
»Es ist schon gut, Kind«, sagte ihre Mutter, schaltete die
Deckenlampe ein und erfüllte so den Raum mit hellem Licht,
das die furchterregenden Schattengestalten vertrieb. »Du
hattest einen schlimmen Traum, das ist alles.« Sharon setzte
sich auf die Bettkante, legte die Arme um ihre Tochter und
drückte sie an sich. »Magst du mir davon erzählen?«
Mit bebender Stimme versuchte Kelly zu beschreiben, was
in ihrem Traum geschehen war, und als sie fertig war, sah sie
mit großen Augen zur Mutter auf. »Warum
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