Bestien
unter, die sie im Schlaf und bei Bewußtsein so
lange verfolgt hatten. Aber die Geräusche waren jetzt klar,
nicht mehr gedämpft. Sie durchschnitten die Luft und zerrissen
den Nebel ihrer Benommenheit.
Sie richtete sich im Rollstuhl auf, und ihre Augen öffneten
sich, endlich den Ursprung der Schreie zu sehen: Es war ein
Raum, ähnlich demjenigen, in welchem sie erwacht war; nur
war dieser länger und enthielt eine Reihe von Käfigen – großen
Käfigen aus dickem, an schweren einzementierten Winkeleisen
verankertem Maschendraht. Die meisten waren leer.
Zwei waren es nicht.
In einem saß eine merkwürdige Kreatur zusammengekauert
im hinteren Winkel, die Beine an den massigen Brustkorb
gezogen, den Kopf auf den Knien, und starrte mit schwelenden
Augen, die unter vorspringenden Brauen glommen, in die
Welt. Der herabhängende Unterkiefer der Kreatur zeigte eine
Reihe dicker Zähne, und aus den Tiefen ihrer Kehle drang ein
unaufhörliches, an- und abschwellendes Stöhnen und Ächzen,
als litte es unaussprechliche Schmerzen.
Die Arme waren um die Unterschenkel gelegt, und an den
Enden der riesigen Finger sah Charlotte zerkaute, zu Klauen
gewordene Fingernägel. Als sie die Kreatur anstarrte,
verschwand einer der Finger in ihrem Mund, und das Wesen
begann an der Klaue zu kauen, ohne das Stöhnen zu
unterbrechen.
Charlotte war entsetzt. Sie hatte niemals ein Geschöpf wie
dieses gesehen. Sein Anblick widerte sie an und mesmerisierte
sie gleichzeitig. Endlich riß sie den Blick davon los und wandte
sich zögernd zum anderen Käfig.
Ein Schrei stieg ihr in die Kehle, wurde aber von der
plötzlichen Zusammenschnürung abgewürgt, als sie mit
schrecklicher Klarheit erkannte, daß sie ihren eigenen Sohn
anstarrte.
Oder was einmal ihr Sohn gewesen war.
Jeff war eben noch als vormals menschlich erkennbar. Es
war noch möglich, seine blauen Augen wiederzuerkennen, die
aus den tief eingesunkenen Höhlen blickten. Sein Gesicht war
verformt, der Unterkiefer unförmig. Die aus dem Mund
hervorstehenden Zähne hatten sich mit ihrem Wachstum aus
den Zahnreihen herausgedrängt, und er konnte den Mund nicht
mehr schließen.
Seine Schultern hatten sich grotesk verbreitert, und an den
Enden seiner Arme, die jetzt bis unter die Knie hingen, waren
die Hände zu massiven Keulen gewachsen, denen die
knorrigen, krummen Klauen seiner Finger entwuchsen.
Aus Jeffs Kehle drangen die fürchterlichen Wutschreie, die
sie in ihren Alpträumen verfolgt hatten. Während Charlotte
starr vor Entsetzen zusah, warf er sich von einer Seite des
Käfigs zur anderen und riß mit blutenden Fingern am
Maschendraht.
Ames schob den Rollstuhl näher. Zum ersten Mal erblickte
Jeff seine Mutter. Ein Heulen brach aus den Tiefen seines
Rumpfes hervor, als seine Augen sie flammend vor
unbeherrschter Wildheit anstarrten. Das Wutgebrüll widerhallte
noch von den gekachelten Wänden, als Jeff sich gegen die
Vorderseite des Käfigs warf. Dort war eine schmale Öffnung,
durch die Wärter eine Schale mit Essen schieben konnten. Jeffs
rechter Arm fuhr plötzlich durch diese enge Öffnung, seine
Hand schloß sich um Charlottes Kehle, daß die langen Finger
ihren Hals vollständig umschlossen und die Klauen seiner
Fingernägel sich tief in ihr Fleisch bohrten.
Sie kreischte auf, aber diesmal verschloß ihr Jeffs Zugriff
die Kehle, und kein Laut kam heraus.
Und dann brach Jeff seiner Mutter mit einer jähen Drehung
des Handgelenks das Genick.
Ames starrte einen Augenblick schweigend auf das
Schauspiel vor ihm, dann drückte er einen Knopf neben der
Tür, und sofort ertönte eine Alarmklingel. Sekunden später
stürmten drei Wärter in den Raum, prallten aber zurück, als sie
Charlottes Leichnam sahen, der noch immer von Jeffs Hand
umklammert wurde.
»Mein Gott«, flüsterte einer von ihnen. »Was …«
»Ich konnte es nicht verhindern«, unterbrach ihn Ames. »Sie
stieß sich mit dem Rollstuhl zum Käfig, und er packte sie.«
Dann wurde seine Stimme ärgerlich. »Stehen Sie nicht herum
wie Idioten – holen Sie den Schlauch!«
Sofort zog einer der Wärter einen Feuerwehrschlauch von
seiner Rolle an der Wand, und ein zweiter drehte das Ventil
auf, das den Wasserstrom freigab.
Der Wasserdruck war so stark, daß sie zu zweit die
Ausgußröhre des Schlauches halten und auf Jeff zielen mußten.
Der armdicke Wasserstrahl traf ihn vor die Brust, und einen
Augenblick schien er überrascht. Dann stieß er ein Wutgebrüll
aus, ließ den Hals seiner Mutter los und wankte einen
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