Bestrafe mich
sofort erregt und zugleich erschrocken darüber,
dass die Frau Ähnlichkeit mit ihr hatte. Wenn der Lord immer denselben Frauentyp als
Sklavin auswählte, war sie jederzeit austauschbar. Der Gedanke gefiel ihr überhaupt
nicht. Sie wollte für ihn etwas Besonderes sein, für ihn und Raven.
Das nächste Blatt. Eileen zuckte zurück, dann weitete sie ungläubig die Augen und
starrte ihr Ebenbild an. Das war sie selbst, kein Zweifel. Die Zeichnung zeigte sie von
der Seite, am Fenster stehend, vom Vollmond beleuchtet, so, wie sie gestern Nacht
hier gestanden hatte. Wurde sie heimlich beobachtet? Von wem?
Sie sah sich die Zeichnung genauer an. Sie war mit Liebe gemacht, mit sanft
gesetzten Strichen langsam, fast meditativ gemalt.
Mit heftigem Herzklopfen blätterte sie weiter und meinte, in einen Spiegel zu sehen.
Das Porträt zeigte sie frontal. Sie lächelte auf der Zeichnung und zwinkerte dem
Betrachter zu. Auf ihrer linken Schulter hockte ein Rabe.
Unwillkürlich musste Eileen grinsen. Es war, als wollte der Maler sagen: „Aber,
aber! Man blättert doch nicht in fremden Skizzenblöcken.“
Warum hatte der Block überhaupt in dieser Bank gelegen? Es musste Absicht
dahinterstecken. Sie sollte den Block finden. Aber warum? Um weitere
Nachforschungen anzustellen? Wenn das so war, nahm sie die Herausforderung gerne
an.
Sie stellte sich an das Fenster, vor dem sie vergangene Nach im Vollmondlicht
gebadet hatte. Der Zeichner musste sie von der linken Seite beobachtet haben. Sie
drehte den Kopf nach links und studierte die Wand, an der die Truhe mit der
Bettwäsche stand. War da irgendwo ein Loch? Eine Kamera? Sie ging hinüber, um
sich die Wand aus der Nähe anzuschauen. Die Tapete hatte ein filigranes Muster aus
Blättern, das sich bestens eignete, um eine Kameralinse zu kaschieren. Sie fuhr mit
den Fingerspitzen die Tapete entlang und hatte plötzlich eins der Blätter in der Hand.
Es klappte hoch und gab eine Öffnung frei, gerade groß genug, um durchzusehen wie
durch ein Schlüsselloch. Sie klappte das Blatt runter und atmete tief durch. Raven
musste sie letzte Nacht beobachtet haben, darum hatte er mitbekommen, dass sie das
Zimmer verließ, und war ihr gefolgt.
Sie öffnete die Tür zum Gang einen Spalt und spähte hinaus. Alles war still. Sie trat
in den Flur hinaus und betrachtete Tür zum angrenzenden Raum. War das Ravens
Zimmer? Sie hätte zu gern hineingesehen, aber wenn er gerade da war und sie dabei
erwischte, wäre die Strafe, die sie bekam, nicht das Schlimmste. Sie würde sich
schämen, in seine Privatsphäre eingedrungen zu sein. Andererseits beobachtete er sie
heimlich, was ja auch nicht gerade die feine Art war. Und wenn ich einfach anklopfe? Falls Raven da ist, werde ich ihm sagen, was ich
davon halte, ohne mein Wissen beobachtet zu werden. Und wenn niemand reagiert,
kann ich gefahrlos eintreten und mich ein wenig umsehen. Sie kam nicht dazu, ihren Plan umzusetzen, denn sie hörte gedämpfte Schritte den
Gang entlangkommen. Bevor derjenige um die Ecke bog, huschte sie schnell in ihr
Zimmer zurück und vergewisserte sich, dass alle Schränke und Schubladen wieder
geschlossen waren.
Schon klopfte es an ihrer Tür.
„Ja, bitte.“
Ob sie Raven auf die Zeichnungen ansprechen sollte? Unsicher drehte sie sich um
und sah sich der Hausdienerin gegenüber, die am Morgen das Frühstück gebracht
hatte. Sie trug etwas aus rotem Stoff über dem Arm.
Wie hatte Jenna die stolze junge Frau genannt? „Oh, hi, äh Carmen“, stammelte
Eileen. Sie war den Umgang mit Dienstboten einfach nicht gewohnt.
„Ich heiße Karen“, sagte die Dienerin tadelnd. Sie hatte das Gehabe einer Domina.
Ob der Lord ihr zuweilen gestattete, eine seiner Sklavinnen auszupeitschen? Der
Gedanke allein flößte Eileen Angst ein. „Verzeihung, Karen.“
„Ich soll dich zum Mittagessen abholen.“
„Wo ist Raven?“, fragte Eileen. Sie fand, dass sie einen gewissen Anspruch darauf
hatte, von ihm abgeholt zu werden, und fühlte sich betrogen um einen der wertvollen
Momente, in denen sie mit ihm allein war.
„Er empfängt gerade zusammen mit dem Lord einen Besucher.“
Eileen verschränkte in einer schützenden Geste ihre Arme vor der Brust. Ein
Eindringling! Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie geborgen sie sich in dieser nach außen
abgeschotteten Welt fühlte. „Bleibt der Besuch zum Essen?“
„Er bleibt nicht nur zum Essen, sondern über Nacht.“ Auch das noch! „Kann ich so lange auf meinem Zimmer bleiben?“
Karen schien Eileens
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