BETA (German Edition)
rein. Wir bleiben dort, wo das Wasser flach genug ist. Versprochen.«
Xanthe blickt sich vorsichtig um, ob auch kein anderer Dienstklon in der Nähe ist, der sie verraten könnte. Wir sehen keinen. Alle anderen Bediensteten ruhen sich entweder aus oder nehmen an Tawnys »Wie verwöhne ich meinen Gebieter noch besser?«-Seminar im Konferenzraum des Governor teil, der sich im anderen Flügel der Villa befindet. Die Abenddämmerung senkt sich allmählich nieder. Vor zehn Uhr wird die Familie keinesfalls zurück sein, und dann hängt alles davon ab, wann Liesels Wunsch, unbedingt auf einer tollen Party dabei zu sein, ihrem Schlafbedürfnis in die Quere kommt. Ich habe also viel Zeit, um zu schwimmen und zu tauchen und vielleicht von Xanthe etwas mehr über Tahir zu erfahren. Ich habe mir fest vorgenommen, diese Zeit so gut wie möglich zu nutzen, ob mit oder ohne Xanthe. Immerhin müssen wir mal nicht jede Minute aufspringen, um den Menschen zu Diensten zu sein. Vielleicht werde ich sogar meinen Schokoladenvorrat plündern. Durch den Pool zu pflügen hat meinen Appetit noch gesteigert, der Abend ist so süß nach dem Nachmittag, an dem ich von einem Prince Chocolate geküsst worden bin, ein verlockender Duft erfüllt die Luft, das Wasser fühlt sich samtweich an und der Sonnenuntergang über dem Meer verheißt ein solches Glück, dass kein Erdbeershake der Welt meinen Hunger stillen kann.
Xanthe lässt sich tatsächlich von der Beckenkante in den Pool gleiten, wenn auch sehr vorsichtig. Das Wasser reicht ihr bis an die Brust. Mit unsicheren Schritten tastet sie sich in das Becken voran. Sie fröstelt, schlingt die Arme um den Oberkörper.
»Zuerst ist es kalt, aber wenn du dich bewegst, wird es schnell wärmer«, sage ich.
»Hmmm …« Sie macht noch ein paar Schritte, bis das Wasser ihr bis unter die Achseln reicht und die Spitzen ihrer schwarzen Haare benässt. »Kleine Erfrischung?«
Ich stehe neben ihr und lege meine Hand unter ihren Rücken. »Versuch mal, auf dem Rücken zu liegen. Ich halte dich – nur falls du Angst bekommst.«
»Ich hab keine Angst.«
»Ach ja, stimmt.«
Wir sind so programmiert, dass wir nicht lügen, außer vielleicht, dass wir uns selbst etwas vorlügen, indem wir so tun, als würden wir daran glauben, was uns über unsere Programmierung mitgeteilt wurde; selbst wenn unsere Erfahrung uns etwas anderes sagt. Xanthe muss gerade ein leicht beklommenes Gefühl haben, das kann gar nicht anders sein.
»Leg den Kopf zurück und heb die Beine an, sodass du auf dem Rücken liegst. Ich versprech dir, du wirst nicht untergehen.«
Trotz ihrer fuchsiaroten Augen, die ja wie meine seelenlos sind, spüre ich, wie Xanthe mich voller Vertrauen ansieht. »Ich will es versuchen«, sagt sie.
Ich weiß, dass ihr das einigen Mut abverlangt, selbst wenn sie es nie zugeben würde. Möglicherweise ist Furcht ja nicht nur etwas, das seinen Grund in der chemischen Zusammensetzung von Adrenalin hat. Furcht hat auch etwas mit mangelnder Erfahrung zu tun oder mit dem Vorstoß ins Unbekannte, selbst wenn es sich dabei um so etwas Harmloses wie einen Swimmingpool handelt. Zumindest für mich ist der Pool total harmlos, fast so etwas wie ein Stück von mir selbst. Für Xanthe, die noch nie darin war, ist er vielleicht das große, wilde Unbekannte.
Xanthe legt den Kopf zurück und ihre Beine gleiten an die Oberfläche. Ich halte meine Arme unter ihren Rücken, damit sie sich unterstützt und sicher fühlt. Mir wird auf einmal klar, wie selbstverständlich das alles für mich ist. So schwimmen zu können, wie ich es kann – weil mein Körper sich an die Fähigkeiten meiner First erinnert –, ist ein großes Geschenk.
Xanthe schwimmt auf dem Wasser!
Ich spüre Freude – aber kommt dieses Gefühl, das eigentlich für die Menschen reserviert ist, nun von ihr oder von mir selbst, weil ich Zeuge sein darf, wie sie diese neue Freiheit erlebt?
»Aaah!«, seufzt Xanthe und schaut zum Himmel. Zum ersten Mal, seit ich sie kenne, ist auf ihrem Gesicht ein Lächeln zu sehen. »Für die Menschen muss das Wasser ja zauberhaft sein. Es ist zu schön, um wahr zu sein.«
»Soll ich meine Arme wegziehen?«, frage ich.
»Ja, bitte. Aber langsam.«
»Nicht verkrampfen. Dein Körper soll ganz entspannt bleiben.«
Langsam ziehe ich einen Arm fort und sie schwimmt immer noch auf dem Wasser. Ich ziehe den anderen Arm weg. Jetzt liegt sie ganz von allein auf dem Wasser, ohne meine Hilfe.
»Ich könnte ewig hier so bleiben.«
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