BETA (German Edition)
Wir sind in Paris am Seineufer entlanggeschlendert, auf dem Kopf Baskenmützen und in der Hand Croissants, und haben impressionistischen Malern über die Schulter geschaut. Wir haben im Mosh Pit des CBGB in New York getanzt, während dort die Ramones spielten. Wir haben eine ganze Nacht lang im Schlafsack in einem Iglu miteinander rumgeschmust, während wir zur Zeit der Water Wars auf einer Eisscholle durch den Ozean trieben. Wir waren hinter Biome City nachts beim Dünenreiten und über uns bildeten die Sterne Tahir + Elysia . Wir kombinierten LoveStory mit Z-Grav und schwebten endlose Stunden schwerelos im Raum. Statt möglichst schnell den Boden zu berühren, war es nun unser Ziel, uns so lange wie möglich zu berühren, sei es mit den Lippen oder sei es mit den Händen, egal ob wir nun an der Decke klebten oder mitten im Zimmer schwebten oder wie Gummibälle von den Wänden abprallten.
Wir sind Betas, komische Freaks, die es in der Natur eigentlich gar nicht gibt. Aber das ist ganz in Ordnung, ja eigentlich sogar großartig – weil wir es gemeinsam sind. Weil wir biologisch gesehen so anders als die anderen sind und deshalb zusammengehören, haben wir wohl beide beschlossen, auch körperlich eine Einheit zu bilden. Und wir machen das alles, ohne uns lange mit den nervigen Ritualen aufzuhalten, mit denen die Menschen sich dabei aufhalten: Liebt er/sie mich nur ein wenig oder wirklich? Soll ich es wagen, ihm/ihr zu sagen, was ich für ihn/sie empfinde? Und wenn ich in solchen Dingen total ungeschickt bin? Du bist schön.
Aber irgendetwas fehlt immer noch. Ich spüre die Verbindung zwischen uns, während Tahir nur versucht, Erfahrungen zu sammeln. Farzad hat wahrscheinlich Raxia-Pillen dabei, die diese Kluft zwischen uns schließen könnten. Darauf habe ich heute gesetzt, und deshalb habe ich auch Tahir überredet, Farzads Einladung für den Nachmittag anzunehmen.
Warum soll ich immer ein braves Mädchen sein? Das ist doch total veraltet und langweilig. Kurz nachdem sie mich geschaffen hatten, war ich so dumm. So naiv und unerfahren. Vielleicht ist es ein erstes Anzeichen, dass ich verrückt werde, aber ich will Tahir unbedingt dazu bringen, seinem Vater nicht zu gehorchen und Raxia einzuwerfen. Es ist höchste Zeit, dass wir unser Schicksal selbst in die Hand nehmen, wie richtige Erwachsene. Morgen werden sie mich zu den Brattons zurückschicken. Heute müssen wir leben.
Mehr und mehr verstehe ich Tariqs und Bahiyyas dringenden Wunsch, dass Tahir doch mit ihnen ihre Gefühle teilen möge. Ich will, dass er genauso empfindet wie ich. Nicht dass er die Gefühle nur vorspielt.
Wir müssen beide sowieso bald sterben. Ich möchte, dass wir vorher noch gemeinsam erleben, was das Leben so richtig lebenswert macht.
Doch von alldem erzähle ich Farzad nichts. Stattdessen murmle ich mit gesenktem Kopf: »Geht in Ordnung.«
Farzad findet schnell heraus, das ich recht hatte.
Tahir hat keine Lust, Babywellen zu surfen. Er will am Strand mit den Mädchen eine Runde kicken. Als er Farzad sagt, seine Surfertage seien vorbei, meint er es damit ernst; das habe nicht nur mit den Anweisungen der Ärzte zu tun. »Ich bin seit dem Unfall ein anderer geworden«, erzählt er Farzad, ohne mich dabei anzusehen. »Ich will einen neuen Sport anfangen. Fußball ist ein Sport für alle. Surfen ist was für privilegierte, elitäre Jungs.« Er gibt dieselbe Information von sich, die ich auch auf meiner Datenbank gespeichert habe. Aber die anderen glauben, dass Tahir seine eigene Meinung äußert.
Demenzia fallen vor lauter Staunen fast die Augen raus. Dann reckt sie mit kämpferischer Geste die Faust empor. »Ja! Mir gefällt der neue Tahir!«
Mir gefällt es, Tahir mit nacktem muskulösem Oberkörper beim Kicken am Strand hin- und herrennen zu sehen. Was für ein Anblick, wie sich seine Bauchmuskeln anspannen und entspannen! Wenn er beim Wellenreiten wäre, könnte ich ihn dabei nie so gut beobachten. Ich habe mich so daran gewöhnt, immer in seiner Nähe zu sein. Wie soll ich bloß weiterleben, wenn ich wieder in die Villa des Governor zurückgekehrt bin?
Farzad wirft mir einen mürrischen Blick zu, als wäre ich an Tahirs neuen Vorlieben schuld. »Boah ey, Tahir! Wie viel Medikamente musst du eigentlich noch schlucken?«
»Keine mehr«, sagt Tahir.
»Höchste Zeit für eine Runde Raxia!«, ruft Demenzia und zieht auch schon ein kleines Päckchen mit Pillen aus ihrer Tasche.
Endlich, darauf habe ich gewartet.
Farzad verzieht das
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