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Beton

Beton

Titel: Beton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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meiner Schwester. Sie würde sich über diese Tatsache nur lustig gemacht haben. Der Mantel meiner Mutter hängt in einem sonst leeren und von mir festverschlossenen Kasten. Aber es vergeht keine Woche, daß ich nicht den Kasten aufmache und an dem Mantel rieche. Ich schlüpfte in den Pelz und stellte fest, daß er paßte. Noch paßte, mußte ich mir, nachdemich mich in ihm vor dem Spiegel gezeigt hatte, sagen, denn ich war in den letzten Jahren wenigstens auf die Hälfte, wie mir vorgekommen war, abgemagert. Der wiederausgebrochene morbus boeck , die jährlich sich wiederholenden Verkühlungen, der daraus resultierende allgemeine und permanente Schwächezustand und dann immer wieder der gleiche Rhythmus des Aufgeschwemmtseins durch zuviel Prednisolon und des Abmagerns durch eine dann immer wieder notwendige Prednisoloneinschränkung, ja -absetzung. Ich war jetzt gerade abgemagert und wartete nur darauf, wieder aufgeschwemmt zu sein, denn ich hatte vor zwei Wochen wieder stark mit dem Prednisolon angefangen, ich nahm jetzt acht Stück am Tag. Daß diese Methode, zu überleben, nicht mehr gar solange durchzuhalten sein wird, war mir jetzt klar. Aber ich verdrängte diesen Gedanken, ich verdrängte ihn, obwohl er ununterbrochen da war, ich verdrängte ihn ununterbrochen, weil er ununterbrochen da war. Ich habe mich daran gewöhnt. Natürlich ist der Pelz aus der Mode gekommen, dachte ich vor dem Spiegel, aber mir war gerade das, daß er aus der Mode gekommen ist, angenehm, andererseits habe ich ja niemals modische Kleidung getragen, verabscheute sie von Anfang an und verabscheue sie auch heute. Er muß mich wärmen, sagte ich mir, wie er ausschaut, ist im Grunde vollkommen gleich, er muß seinen Zweck erfüllen wie alles, alles andere ist gleich. Nein, ich hatte niemals etwas Modisches am Leib, wie ich auch niemals etwas Modisches im Kopf gehabt habe. Da sagten die Leute lieber zu mir, er ist altmodisch, als, er ist modisch oder gar modern , das widerliche Wort. Ich hatte mich ja immer höchst wenig um die öffentliche Meinung gekümmert, weil ich immer am allerangestrengtesten mit meiner eigenen zu tun hatte und also für die öffentliche Meinung gar keine Zeit hatte, ich nahm sie mir nicht und ich nehme sie mir auch heute nicht und ich werde sie mir nie nehmen. Es interessiert mich, was die Leute sagen, aber es ist zuallererst überhaupt nicht ernstzu nehmen. So komme ich am besten vorwärts. Ich sehe mich schon in Palma aus dem Flugzeug steigen und der warme Afrikawind weht mir ins Gesicht, sagte ich mir. Und ich hänge den Pelz um die Schultern und habe aufeinmal wieder leichte Füße, einen klaren Verstand etcetera, nicht diese mich zersetzende Hoffnungslosigkeit im Kopf und auf meinem ganzen Körper. Natürlich, auch daß sich alles als ein infamer Trugschluß erweist, ist möglich. Wie oft habe ich das erlebt! Bin abgereist für Monate und nach zwei Tagen wieder zurückgekommen, je mehr Gepäck ich mitgenommen habe, desto schneller bin ich wieder zuhause gewesen, habe ich für mindestens zwei Monate Gepäck mitgenommen, bin ich in zwei Tagen wieder zuhause gewesen undsofort. Und habe mich vor allem vor der Kienesberger lächerlich gemacht, der ich gesagt hatte, auf Monate und es waren dann nur zwei Tage, der ich gesagt habe, auf ein halbes Jahr und es waren doch nur drei Wochen. Da schämte ich mich und ging dann tagelang nur mit eingezogenem Kopf in Peiskam hin und her, aber ich schämte mich nur vor der Kienesberger, vor niemandem sonst, denn alle andern sind mir in der Zwischenzeit gleichgültiger als gleichgültig geworden. Dann hatte ich keinerlei Erklärung, denn das Wort Verzweiflung wäre ebenso lächerlich gewesen wie das Wort verrückt . Damit konnte ich einem Menschen wie der Kienesberger nicht kommen, mit solchen Wörtern kann der Mensch sich selbst kaum überzeugen, geschweige denn eine so schwierige Person, wie die Kienesberger, die alles andere als einfach ist; fortwährend führen alle Leute das Wort vom einfachen Menschen im Mund und niemand ist schwieriger und in Wahrheit komplizierter, als diese sogenannten einfachen Menschen. Ihnen kann man mit solchen Wörtern wie Verzweiflung und verrückt nicht kommen. Die sogenannten einfachen Menschen, sind in Wahrheit die kompliziertesten und es ist mir immer schwieriger, mit ihnen auszukommen, ich habe in letzter Zeit den Verkehr zu diesen beinahe völlig eingestellt, der Verkehr zuden Einfachen ist mir schon lange nicht mehr möglich, er geht über

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