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Beton

Beton

Titel: Beton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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meine Kräfte, den Einfachen kann ich mit mir nicht mehr kommen. Tatsächlich habe ich den Umgang mit den einfachen Leuten, die, wie gesagt, die allerschwierigsten sind, vollkommen aufgegeben, weil er mir zu anstrengend ist und ich mich nicht über den Umweg der Lüge mit ihnen verständlich machen will. Auch daß die Einfachsten im Grunde die Anspruchsvollsten sind, ist mir auch klar geworden. Niemand ist derartig anspruchsvoll, wie die einfachen Leute und nun bin ich so weit, daß ich sie mir nicht mehr leisten kann. Ich kann mir mich selbst kaum mehr leisten. Ich beschuldige meine Schwester, daß sie abreist für mehrere Wochen oder für Monate und dann womöglich ein paar Stunden später wieder auftaucht und bin genauso, reise für lange Zeit ab und bin zwei Tage später wieder da. Mit allen Konsequenzen, die nur fürchterliche sein können. Beide sind wir so, wir beschuldigen uns der Unmöglichkeiten jahrzehntelang gegenseitig und können diese Unmöglichkeiten nicht aufgeben, diese Sprunghaftigkeiten, diese Launenhaftigkeiten, diese Unbeständigkeiten, aus welchen heraus wir beide, meine Schwester wie ich, existieren, woraus wir immer existiert haben, was allen Leuten immer auf die Nerven gegangen ist, was diese anderen Leute aber genauso immer wieder fasziniert hat und weshalb sie ja auch immer wieder den Umgang mit uns suchten, im Grunde wegen dieser Launenhaftigkeit, Sprunghaftigkeit, Unbeständigkeit, Unzuverlässigkeit, damit zogen wir beide immer alle anderen an. Die Leute suchen die Aufregenden, die Nervösmachenden, die Wankelmütigen, die jeden Augenblick Anderen und meistens jeden Augenblick völlig Umgekehrten. Und das ganze Leben haben wir beide, meine Schwester und ich, uns gefragt, was wir denn wollen und es nicht sagen können, haben wir etwas und schließlich alles nur Mögliche gesucht und nicht gefunden, haben wir immer alles erzwingen wollen und nicht erreicht, oder erreicht und im gleichen Augenblick wieder verloren. Es ist,wie ich denke, ein uraltes Erbe, kein väter- oder mütterliches, ein ururaltes. Aber die Kienesberger ist ja nicht einmal mehr überrascht, wenn sie mich zwei Tage nach meiner Abreise für drei, vier Monate, wieder auspackend im Haus antrifft. Sie ist von nichts mehr, das mich betrifft, überrascht, ein solcher einfacher Mensch und ein solcher unendlich wachsamer Seismograph!, denke ich. Aber aufeinmal spricht alles nurmehr für diese Reise und für Palma und für meine Arbeit: hinaus, weg aus Peiskam, tatsächlich, ich getraue es mich gar nicht auszusprechen, während ich es mir doch zu denken getraue, bis ich diese Arbeit beendet, möglicherweise sogar vollendet habe. Dieses Aufbrechen aus Peiskam ist mir das verhaßteste. Ich gehe von einem Zimmer ins andere, ich gehe hinunter und wieder hinauf, ich überquere den Hof, ich rüttle an den diversen Türen und Toren, ich prüfe die Fensterriegel und überhaupt alles, das bei einer derartigen Abreise zu prüfen ist und ich weiß, habe ich die Fenster überprüft, nicht mehr, ob die Türschlösser in Ordnung sind, habe ich die Türschlösser überprüft, nicht, ob die Fenster verriegelt sind, dieses abrupte Abbrechen meines Peiskamer Aufenthalts, und ich breche diese Peiskamer Aufenthalte seit Jahrzehnten immer nur abrupt ab, macht mich wahnsinnig und ich bin froh, daß mich bei dieser Gelegenheit niemand sieht, daß es keinen Zeugen gibt meiner totalen äußeren und inneren Zerrüttung. Wie ideal wäre es, wenn ich jetzt im Augenblick an meinem Schreibtisch mit meiner Arbeit anfangen könnte, dachte ich, wie ideal, mich hinzusetzen und den ersten, alles Weitere auslösenden Satz hinschreiben und mich dann wochenlang, vielleicht monatelang nurmehr noch auf diese Mendelssohn-Bartholdy-Arbeit konzentrieren und sie vorantreiben und vollenden könnte, wie ideal, wie ideal, wie ideal , aber der Schreibtisch ist abgeräumt und ich habe mir mit diesem Abräumen alle Voraussetzungen für einen augenblicklichen Arbeitsbeginn genommen, ich habe mich möglicherweise durch diese abrupten Abreisevereinbarungen und Buchungenetcetera, um alles gebracht, möglicherweise nicht nur um meine Mendelssohn-Bartholdy-Arbeit, überhaupt um alles, vielleicht um die allerletzte Chance des Überlebens! Ich hielt mich am Türpfosten meines Arbeitszimmers fest, um mich zu beruhigen, ich kontrollierte meinen Puls, aber ich nahm überhaupt keinen wahr, als ob ich im Moment mein Gehör verloren hätte, war es mir vorgekommen und ich preßte meinen

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