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Beton

Beton

Titel: Beton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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wiederzuerkennen gewesen, leider nicht wiederzuerkennen in dem traurigsten Sinne, nicht in dem Sinne, daß ich viel besser ausgeschaut hätte und beisammen gewesen wäre als bei meiner Abreise nach Palma. Den Pelz und die Pelzkappe und den warmen englischen Schal, sagte ich mir. Zwölf Grad minus!, ich war erschrocken. Aber wenn es dann den gewünschten Kontrast hat, sagte ich mir, wenn es in Palma, nicht wie hier zwölf Grad minus, zwölf Grad plus hat oder noch viel mehr plus, vielleicht sogar achtzehn oder gar zwanzig Grad, wie in Palma in dieser Jahreszeit, Ende Jänner, durchaus möglich, wird mein Profit um so größer sein, ich sagte absichtlich nicht Freude, wie bei dieser Gelegenheit üblich, sondernProfit, um den Überschwang meines Wunschgefühls einigermaßen im Zaum zu halten. Dann habe ich, bei achtzehn oder zwanzig Grad in Palma meinen Profit sagte ich, sogar ganz im Tonfall meiner Schwester, die dieses Wort Profit so unvergleichlich ausspricht, ich hatte meinen Tonfall beinahe dem ihrigen angenähert, als ich das Wort Profit sagte in bezug auf die Temperatur in Palma, war es mir so vorgekommen, als hätte sie es ausgesprochen in bezug auf ihre Geschäfte. Ach, das gibt wieder einen anständigen Profit!, sagt sie ja sehr oft und schweigt im übrigen über das tatsächliche Ausmaß und überhaupt über die Art und Weise, auf welche sie gerade wieder einen Profit gemacht hat. Und wenn es in Palma plötzlich zu warm ist, sagte ich mir, werde ich den Pelz auf den Arm nehmen, nur mit dem Lodenmantel abzureisen, wie ich vorgehabt hatte, kam nicht mehr in Frage. Und ich hängte den Lodenmantel, den ich schon am Vortag aus dem Kasten herausgenommen hatte, wieder in den Kasten hinein und nahm meinen Pelz heraus. Wieviele Pelze ich einmal gehabt habe, dachte ich bei dieser Gelegenheit, aber alle diese Pelze habe ich nach und nach verschenkt, abgestoßen mit Gewalt, sage ich mir, weil mit jedem dieser Pelze irgendeine von mir bereiste Stadt in Zusammenhang war, den einen hatte ich mir in Warschau gekauft, einen andern in Krakau, einen dritten in Split, einen vierten in Triest, immer gerade da, wo es aufeinmal unvorhergesehen kalt geworden war und wo ich geglaubt habe, krank zu werden oder gar ohne Pelz erfrieren zu müssen. Ich verschenkte einen Großteil dieser Pelze an die Kienesberger. Übrig gelassen hatte ich mir nur den Pelz, den ich mir vor zweiundzwanzig Jahren in Fiume gekauft habe, meinen Lieblingspelz. Ich schüttelte ihn aus und legte ihn auf die Kommode. Wielange ich diesen Pelz nicht mehr getragen habe, dachte ich. Er war nicht so kostbar wie die andern, die ich verschenkt habe, er ist schwer, aber er ist mein Lieblingspelz. Jahrelang ist er im Kasten, so riecht er auch, sagte ich mir. Wir lieben ganz bestimmte Kleidungsstückeund trennen uns, auch wenn sie uns schon beinahe vom Leib fallen, weil sie so schütter und schäbig geworden sind, weil wir mit diesen Kleidungsstücken an irgendeine Reise und an eine besonders schöne Reise und ein besonders schönes Erlebnis erinnert sind, davon ungern. So könnte ich ja von allen meinen Kleidungsstücken, die ich noch habe, die meisten habe ich ja abgestoßen, verschenkt, verbrannt, wie immer, eine Geschichte erzählen, eigentlich immer nur eine schöne Geschichte. Die Kleidungsstücke, die an ein trauriges oder gar entsetzliches Erlebnis gebunden waren, habe ich alle nicht mehr, ich trennte mich so rasch als möglich von ihnen, denn ich ertrug es nicht, den Kasten aufzumachen und beispielsweise durch einen, wenn auch kostbaren Schal, an eine Furchtbarkeit erinnert zu sein. Ich behalte seit langem nur Kleidungsstücke, die mich an etwas Erfreuliches erinnern, wenigstens an etwas Angenehmes, aber ich habe nicht wenige, die mich an ein ganz hohes Glückgefühl erinnern und die mir bei ihrem Anblick tatsächlich auch noch nach Jahren, ja nach Jahrzehnten, muß ich mir sagen, höchstes Glück bedeuten. Aber davon wäre tatsächlich ein ganzes Buch zu schreiben. Wenn wir einen geliebten Menschen verlieren, behalten wir doch immer ein Kleidungsstück von ihm wenigstens solange wir den Geruch des Verlorenen noch an ihm wahrnehmen können und tatsächlich bis in unseren Tod hinein, weil wir auch dann noch glauben, seinen Geruch machte uns dieses Kleidungsstück gegenwärtig, wenn das auch längst nurmehr noch nichts ist als Einbildung. So habe ich immer noch einen Mantel von meiner Mutter aufbewahrt, aber dieses Geheimnis niemals verraten, niemandem, auch nicht

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