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Beton

Beton

Titel: Beton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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übertrieben und sofort zu widerlegen ist, aber ich habe das Gefühl, sie ist der einzige, mit welchem ich über längere, ja längste Zeit, ohne Übertreibung sehr oft Monate ausgiebigeren Sprechkontakt habe. Sie bewohnt mit ihrem taubstummen (!) Mann ein kleines, ebenerdiges Haus am Waldrand, nicht weit vom Ort und sie hat nur zehn Minuten zu mir zu gehen. Sie ist selbst sprechbehindert und das ist die Gewähr dafür, daß sie nicht schwätzt, aber sie ist von Natur aus keine Schwätzerin, vierzehn Jahre kommt sie zu mir und in diesen vierzehn Jahren hat es keine Mißstimmung gegeben zwischen ihr und mir, jeder Mensch weiß, was das bedeutet. Und oft denke ich, ich habe ja nur diesen einzigen verläßlichen Menschen, sonst niemanden. Und vielleicht ahnt oder weiß sie das auch. Es ist ja nicht so, daß ich ihr andauernd Befehle gebe und Verhaltensmaßregeln, im Gegenteil, sehr selten habe ich einen Wunsch und die meiste Zeit lasse ich sie vollkommen in Ruhe und macht sie, weil das nicht anders möglich ist, bei ihrer Arbeit Lärm, so verlasse ich auf Stundendas Haus, oder ziehe mich für diese Zeit ganz einfach in das sogenannte Jägerhaus zurück. Eine Katastrophe, denke ich, wenn die Kienesberger eines Tages nicht mehr kommt, aus was für einem Grund immer und alle Augenblick kann ein solcher Grund aufeinmal da sein; aber sie weiß wahrscheinlich genauso gut wie ich, was sie an mir hat und umgekehrt, so ist es das günstigste Verhältnis, wenn jeder sich sagen kann, er hat genausoviel von dem andern, der ihn braucht. Sie hat drei Kinder und erzählt manchmal, im Vorhaus stehend, deren Lebensgeschichte, wie sich ihre Nachkommen entwickeln, was für Krankheiten sie haben, welche Torturen sie auszustehen haben in der Schule, was sie beim Schlittenfahren angezogen haben und wann sie einschlafen und wieder aufwachen und was sie am Dienstag und was sie am Samstag zu essen bekommen und wie sie auf alles und jedes reagieren, die Mütter, muß ich mir bei dieser Gelegenheit jedesmal sagen, beobachten ihre Kinder eindringlich, wenn sie solche Mütter sind, wie die Kienesberger und sie verhätscheln sie nicht zuviel und nicht zu wenig, sie erzieht ihre Kinder, indem sie überhaupt nicht über diese Erziehung ihrer Kinder nachdenkt, sie praktiziert auf die ideale Weise, was andere sich erst ausdenken müssen in ihrem Spekulationsfanatismus und scheitert nicht, wo die andern scheitern müssen. Im Gegensatz zu allen früheren Hausbesorgerinnen, die alle nichts anderes, als plumpe Trampel gewesen sind, ist ihre Art die behutsamste. Wo gibt es das noch?, frage ich mich. Aus dem Fenster schauend, muß ich mich entschließen, meinen Pelz anzuziehen auf der Reise, warme Unterwäsche und lange Wollstrümpfe, denn niemand ist so leicht verkühlt und gleich darauf schwer krank, wie ich. Seit der morbus boeck aufgetreten ist, darf ich mir keine Verkühlung mehr erlauben, obwohl ich jedes Jahr drei- oder viermal stark verkühlt und dadurch immer nahe daran bin, einzugehen. Durch das Prednisolon sind meine Abwehrkräfte gleich null. Habe ich mich einmal verkühlt, dauert es viele Wochen, um aus einer solchen Verkühlungwieder herauszukommen. So habe ich vor nichts so Angst, als vor einer Verkühlung. Und ein kleiner Luftzug genügt, um mich für Wochen ins Bett zu werfen, so lebe ich ja auch in Peiskam die meiste Zeit in der Angst, mich zu verkühlen und auch diese bis an den Wahnsinn grenzende Verkühlungsangst ist wahrscheinlich auch mit die Ursache dafür, daß ich so schwer mit irgendeiner längeren Geistesarbeit anfangen kann; wo soviele Ängste aufeinmal in einem Menschen konzentriert sind, ist diesem Menschen alles fortwährend vollkommen am Zerbrechen. Ich ziehe den Pelz an und die wärmste Unterwäsche und die wärmsten Strümpfe, denn ich muß auf die Bahn und in München von der Bahn auf den Flugplatz und wer weiß, sagte ich mir, wie es in Palma ist; als ich vor eineinhalb Jahren im November aus Palma abgeflogen bin, war ein Schneetreiben gewesen und es hatte mich durch und durch gefroren und nach meiner Rückkehr bin ich in Peiskam zwei Monate im Bett gelegen, der Effekt, nach Palma zu fahren, um mich zu erholen, war durch diese Verkühlung mit einem Schlage null und nichtig gemacht, anstatt daß ich frischer und kräftiger zurückgekommen wäre, wie gewünscht und wie ich es auch hatte annehmen müssen, war ich als Todkranker nach Peiskam zurückgekommen und war für die Leute, die mich damals gesehen hatten, nicht

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