Betrogen
grübelte. Und wenn nicht sie, was oder wer dann? Tobias oder Lawson? Hatte man die Siedlung in Alarmbereitschaft versetzt, weil das FBI Erkundigungen über die Kirche einzog?
Angesichts dieser SicherheitsmaÃnahmen befürchtete sie schon, man würde sie durch einen Metalldetektor schicken, aber zwischen Tür und Aufzug gab es keine Kontrolle mehr. Auf der Fahrt nach oben erkundigte sie sich bei Mr. Hancock, wie lange er schon bei Bruder Gabriel beschäftigt sei.
»Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann ich nicht in seinen Diensten stand«, lautete die indirekte Antwort.
Im dritten Stock befand sich am Ende des Korridors eine mindestens sechs Meter hohe Doppeltür. Eine davon öffnete Hancock und bat sie herein. Nichts von dem, was sie bis dahin gesehen hatte, hatte sie auf Bruder Gabriels Privatgemächer vorbereitet.
Anfänglich war sie von dem vielen Gold wie erschlagen. Hinter einer Wand aus königsblauen Samtvorhängen vermutete sie raumhohe Fenster. Das Deckenfresko grenzte ans Obszöne, insbesondere da die Messiasgestalt im Mittelpunkt verblüffend dem blonden Prediger ähnelte.
»Melina.« Mr. Hancock bot ihr einen Sessel an.
»Nein, danke.«
»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Sie Melina nenne?«
»Das ist mit scheiÃegal.«
»Hätten Sie gerne etwas zu trinken?«
»Lassen Sie diesen Mist, Mr. Hancock. Ich bin nicht zu einem Plauderstündchen hier. Ich bin gekommen, um Bruder Gabriel,
einen egomanischen Dreckskerl, des Mordes an meiner Schwester anzuklagen.«
»Köstlich.«
Beim Klang der vertrauten Stimme wollte sie sich am liebsten wegdrehen, doch diese Befriedigung wollte sie ihm nicht geben. Sattdessen lieà sie sich viel Zeit.
Bruder Gabriel kam mit der kraftvollen Grazie eines Tigers auf sie zu. Offensichtlich kannte er die Stelle im Raum, wo er am besten wirkte, denn er trat in einen weichen Lichtkegel, der aus einem gut getarnten Spot im Deckenfresko fiel. Buttergelbes Licht ergoss sich über ihn und unterstrich seine eigene, erstaunlich goldene Haarfarbe.
»Ich habe schon erwartet, dass du eine aufregende Frau bist. Eine Frau mit feurigem Geist und enormem Mut.« Seine Blicke musterten sie mit unverhohlenem sexuellen Wohlgefallen. »Du hast mich nicht enttäuscht. Willkommen, meine liebe Melina.«
Sie sah das hinreiÃendste Individuum, das ihr je unter die Augen gekommen war.
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Mindestens eine halbe Stunde lang verfluchte Chief alles: die Gefängniszelle, die Frau, die ihn darin eingesperrt hatte, den pochenden Schmerz in seiner Wange und seine eigene dumme, gottverdammte Leichtgläubigkeit.
Laut schimpfend tigerte er von einer Seite der Zelle auf die andere, stampfte ungeduldig mit dem Fuà auf, ging immer wieder an die Gitterstäbe, packte sie und schüttelte sie wütend, leider vergeblich, und brüllte den Flur entlang. Nichts rührte sich.
SchlieÃlich warf er sich auf die harte unbequeme Pritsche und zwang sich mit Gewalt zur Ruhe. Ein Wutausbruch half ihm nicht weiter. Um Himmels willen, er war im Weltraum spazieren gegangen, hatte drei erfolgreiche Shuttle-Flüge mitgemacht und einen davon selbst kommandiert. Einem wie ihm würde es doch wohl gelingen, einen Weg aus einer Gefängniszelle im Niemandsland zu finden.
Leider waren seine Möglichkeiten begrenzt. Durch die Gitterstäbe konnte er sich nicht quetschen. Den Boden konnte er auch nicht aufgraben, der bestand aus Zement. Es gab kein Fenster. Elektrisches Licht? War hinter einem Drahtkorb an der Decke montiert. Wer daran herumbastelte, konnte leicht auf dem elektrischen Stuhl enden â zwar auch ein Fluchtweg, aber einer, den er definitiv vermeiden wollte. Der Ventilator der Klimaanlage? Maximal ein zwölf auf sechs Zentimeter groÃes Rechteck, das aber ordentlich heiÃe Luft in die Zelle pumpte.
Wegen dieser Hitze hatte er ja auch seine Jacke ausgezogen, in deren Tasche der Schlüssel des Pick-ups steckte, mit dem er vielleicht das Schloss knacken oder an den Gitterstäben herumsägen könnte. Wahrscheinlich hatte er zu viele Filme gesehen, in denen Gefängnisausbrüche immer lächerlich einfach wirkten. Er schnappte nach Strohhalmen. Und auÃerdem kam dieser Punkt sowieso nicht in Frage. Er hatte seine Jacke nicht, folglich also weder Schlüssel noch Handy, noch die Pistole â
Oh ScheiÃe. Melina hatte die Pistole. Sie hatte sie mit auf den Tempelberg
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