Betrogen
Normalerweise schlief er wie ein Baby, und Telefonate zu später Stunde störten diesen friedlichen Schlummer. AuÃerdem kündigten sie schlechte Nachrichten an. Dafür war erst jüngst Dale Gordons Anruf ein perfektes Beispiel gewesen.
Gordon war beinahe hysterisch gewesen und hatte von Gillians Rendezvous mit dem Astronauten berichtet. Was für eine lange schlaflose Nacht war das gewesen. Zu guter Letzt hatte sich alles eingerenkt, und auch die daraus resultierende polizeiliche Ermittlung war zufrieden stellend abgelaufen.
Was war also nun wieder los?
Mr. Hancock hatte versucht, die bevorstehende schlechte Nachricht abzumildern, indem er ihm eine Tasse heiÃe Schokolade servierte. Er trank einen Schluck. Genauso mochte er sie: Knallheià und mit einem Schuss Pfefferminzschnaps. Während ihm warm um den Bauch wurde, sagte er: »Ich nehme an, damit ist Melina Lloyd gemeint.«
»Ja«, antwortete Jem Hennings. »Sie hat mich belogen.«
»Und welcher Art war ihre Lüge?«
»Das FBI hat sich mit ihr in Verbindung gesetzt.«
Bruder Gabriel stellte die Tasse so ab, dass es klirrte. Sein leiser Verdruss schlug in Alarm um. »Woher weiÃt du das?«
»Ich war dort und habe den zweiten Telefonhörer abgenommen. Sie dachte, ich hätte aufgelegt, aber ich habe gelauscht. Eine Frau rief an, im Auftrag von Spezialagent Hank Tobias.«
»Aus dem Büro in Dallas?«
»Washington.«
Die Nachrichten wurde immer schlechter. »Diese Teufel«, zischte Bruder Gabriel.
»Wohl wahr. Sie sind sicher die Brutstätte des künftigen Antichristen.«
»Unsinn«, fauchte Bruder Gabriel, »so viel Macht haben die nicht. Sind auch nicht so schlau.«
Eine lästige Brut war das, weiter nichts. Und doch konnten die Lügen dieser Brut den Gläubigen ins Wanken bringen. Furcht hatte er keine vor dieser Regierungsbehörde, er glaubte an seine eigenen Fähigkeiten und daran, dass seine eigene manipulative Kraft gröÃer war als ihre. Trotzdem hatte er einen gesunden Respekt vor dem Knüppel, mit dem sie nach Belieben das gut geölte Räderwerk seiner Mission stören konnten.
Gerade als er Pastor in seiner ersten Kirche gewesen war, hatte der Massenselbstmord von Jonestown stattgefunden. Die Geschichte hatte ihn fasziniert. In den Medien hatte Jim Jones Verleumdungen geerntet, von den Regierungen Schmähreden und vom Mann auf der StraÃe Vorwürfe. Sogar Pastor Alvin Conway hatte am Sonntagmorgen seine Schäfchen zum Gebet für jene Seelen aufgerufen, die sich so weit verirrt hatten. Und doch hatte er den Sektenführer insgeheim zutiefst bewundert, weil er solchen Einfluss ausgeübt und so viele Menschen dazu hatte bringen können, das Undenkbare zu tun.
Seit Jonestown beobachteten die obersten Polizeibehörden sämtliche religiösen Führer und ihre zahlreichen Jünger schärfstens. Das Desaster der Davidianer in Waco, Texas, hatte sie noch mehr erbost. Weder FBI noch ATF wollten einen zweiten David Koresh, der ihre Jungs auf CNN vor der ganzen Welt zu Idioten abstempelte. Diese Regierungsbehörden schienen einen Groll gegen jeden spirituellen Führer zu hegen, der direkten Zugang zu den Gedanken und Herzen der Menschen hatte.
Er hatte ergebene Jünger in diese verschiedenen Behörden eingeschleust. Sie würden ihn vor jeder verdeckten Ermittlung gegen seine Kirche warnen. Trotzdem war es am besten, von vorneherein jede Neugierde und jedes besondere Interesse zu vermeiden.
»Tobias hat morgen Früh um neun eine Verabredung mit Melina«, erklärte ihm Hennings.
»Und diesbezüglich hat sie gelogen?«
»Auf meine Frage, wer angerufen habe, hat sie mir einen Bären aufgebunden. Sie wollte nicht, dass ich von ihrem Treffen mit Agent Tobias weiÃ.«
Bruder Gabriels Augen verengten sich ein wenig. »Warum vermutest du das?«
»Sie meinen, dass sie gelogen hat? Ich weià es nicht.«
»Hast du ihr irgendeinen Grund zum Misstrauen geliefert?«
»Seit Gillians Verrat habe ich sie nur liebevoll und freundlich behandelt.«
Am Tag nach Gillians erstem Besuch in der Waters Klinik hatte man Jem Hennings nach Dallas versetzt. Sie hatte sich lediglich über das Vorgehen bei einer künstlichen Befruchtung mit Hilfe von Spendersamen beraten lassen. Kaum hatte Dale Gordon sie erblickt, hatte er dem Tempel begeistert berichtet, er hätte eine neue ideale
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