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Betrügen lernen

Betrügen lernen

Titel: Betrügen lernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Bartens
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anderen. Statt eine Pause einzulegen, bin ich immer weitergefahren. Clara hat schon geschimpft, wie gefährlich das sei.
    Wir müssen unterwegs übernachten und finden eine bescheidene Bleibe. Es ist ein Landgasthof im Hessischen, der an ein heruntergekommenes Motel kurz vor Las Vegas erinnert oder an eine Autobahnraststätte. Wir sind müde, und es ist schon sehr spät.
    Clara hat sich schnell ausgezogen, ist im Bad verschwunden, und kurze Zeit später liegt sie in ihrem Schlafanzug im Bett, keinen halben Meter von mir entfernt.
    Sie macht das Licht aus. Ich murmele kleinlaut etwas von ein bisschen Frieden und ein bisschen Zärtlichkeit und versuche, mich trotzdem an sie zu kuscheln. Als Kind habe ich auch immer Hunger bekommen, sobald ich im Auto saß. Vielleicht ist das im Mannesalter ähnlich mit dem Hunger nach Zuneigung und zarten Berührungen, wenn wir unterwegs sind.
    Außerdem steht ja in jedem Beziehungsratgeber, dass man unbedingt Abwechslung in sein Liebesleben bringen und es auch mal an anderen Orten versuchen soll. Warum also nicht in einem abgewrackten hessischen Landgasthof? Ich lege meine Hand auf ihre Hüfte, und in diesem Augenblick schreit sie mich an:
    »Lass mich endlich in Ruhe schlafen! Ist ja furchtbar, dieses ständige Gegrapsche.«
    Plötzlich ist da ein Geräusch. Es kommt aus den abgründigsten Tiefen der menschlichen Seele. Eine Art Grunzen, ein Röcheln. Ob aus Lust oder Bedrängnis, ist mir unklar.
    Ist sie das etwa? Auf Madagaskar gibt es noch diese wenig erforschten Raubkatzen, die Fossas. Sind die Weibchen paarungswillig, locken sie die Männer mit einem Fauchen an, das eher an die Grunzlaute erinnert, wenn sich jemand verschluckt hat und dann ewig räuspern, röcheln und husten muss, bis die Atemwege wieder halbwegs passierbar sind.
    Erst denke ich, dass es ein Paar im Nachbarzimmer heftig miteinander treibt. Die Geräusche hören sich aller dings äußerst seltsam an, so aggressiv, so brutal. Zu brutal selbst für die ausgefallensten Sadomaso-Varianten. Zwischendurch kommt immer wieder ein dumpfes Krachen von nebenan, wie von einer fallenden Garderobe oder einem umgestürzten Nachtschrank.
    Anfangs hoffe ich noch darauf, dass die intimen Laute aus dem Nachbarzimmer Clara ein wenig stimulieren könnten. Aber das, was wir durch die Wand anhören müssen, macht definitiv keine Lust auf mehr. Nicht einmal bei mir.
    Es hört sich eher so an, als würde gerade jemand zusammengeschlagen oder abgestochen. Ein tiefes Stöhnen, dann wieder wüste Schläge und unverständliche Grunzlaute. Vielleicht quält jemand ein Tier. Oder da drüben hat sich eine Geheimsekte einquartiert, die ihre blutigen Riten in einem Hotelzimmer feiert und sich an makabren Schauspielen und Schlachtfesten ergötzt. Gibt es auf dem Land Voodoo?
    Die Geräusche nehmen an Intensität weiter zu, und irgendwann bin ich der festen Überzeugung, dass man einschreiten muss. Nur wie? Und wer? Ich gehe bestimmt nicht rüber. »Geh du, Schatz«, traue ich mich aber auch nicht zu sagen. Es ist inzwischen mitten in der Nacht, schon nach halb zwei. Einen Concierge oder eine rund um die Uhr besetzte Lobby haben sie in dieser Absteige bestimmt nicht. Außerdem ist es generell gefährlich, sich in Paarkonflikte einzumischen, da kann man schnell selbst zum Opfer werden.
    Mit einem Mal ist es wieder still, offenbar haben sie sich beruhigt – oder alle in dem Zimmer sind tot.
    »Grmmmmpf, Ohhhhui, Aaaaaaaaah!« Nach einer hal ben Stunde geht es wieder los. Wie kann Clara bei diesem Radau seelenruhig schlafen?
    Und kann denn der Kerl im anderen Zimmer immer noch nicht von seinem Opfer ablassen? Hier muss ein besonders ausdauernder Sadist am Werke sein, eine menschliche Bestie. Ich rechne damit, am nächsten Morgen mit einem furchtbaren Verbrechen konfrontiert zu werden. Ein riesiges Polizeiaufgebot wird vor dem Hotel stehen. Die Spurensicherung, überall Blut. Hubschrauber, die über dem Gelände kreisen. Absperrbänder. Passanten und Angehörige müssen zurückgehalten werden. Manche halten sich Taschentücher vor den Mund.
    Später werden sie in der Zeitung schreiben, dass selbst die abgebrühtesten Polizisten völlig aufgelöst waren und psychologische Betreuung benötigten, weil sie so etwas Schreckliches noch nie gesehen hätten – und sie waren schon sehr viele Jahre im Dienst. Einer der Polizisten würde auf immer krankgeschrieben bleiben, weil er sich von dem Trauma nie erholen würde. Die Lokalzeitung würde ihn auf seinem

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