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Betrügen lernen

Betrügen lernen

Titel: Betrügen lernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Bartens
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hereinfallen.«
    Clara ist außer sich. Glaubt diese minderbemittelte Lady neben ihr tatsächlich, dass sich Raffael für sie interessieren könnte? Unfassbar. Die hat doch gar nicht das Niveau. Viel zu unreif. viel zu einfach gestrickt. Viel zu ordinär. Und vor allem: Viel zu jung. Raffael doch nicht! So einer ist er nicht. Der hat es doch rein gar nicht nötig, sich mit dieser Dritte-Welt-Laden-Diva abzugeben, die nach Patschuli und Ökowaschmittel riecht.
    Aber vielleicht ist sie nicht die Einzige, die Raffaels Draufängercharme auf sich bezieht. Vor Clara sitzt eine sehnige Outdoor-Aktivistin, die aussieht, als ob sie gerade mit ein paar Sherpas, aber ohne Sauerstoff den Nanga Parbat bezwungen hätte, was wohl auf Kosten etlicher Hirnzellen ging. Durchtrainiert bis in die Pobacken, Cargohose, Funktionshemd, aber wenig Stil.
    Denkt die etwa auch, er würde sich für sie erwärmen können? Ihr Raffael? Was will die überhaupt hier, die soll sich doch einen Yakführer anlachen oder einen dieser zauselbärtigen dauergrinsenden Bergfexe, die in der Jack-Wolfskin-Werbung von Gipfel zu Gipfel hüpfen.
    Raffael redet über den einzigartigen Moment, wenn zwei Menschen sich füreinander entflammen, wenn die Hormone Purzelbaum schlagen, die Neuronen heiß laufen und die Nervenimpulse ein Feuerwerk zünden. Er zeigt wieder Bilder von Menschen beim ersten verliebten Zusammentreffen, vom wollüstigen Werben der Zebrafinken und Makaken. Er redet vom Hochgefühl, körperlich, seelisch und spirituell, und erläutert und charmiert und sagt noch eine ganze Menge mehr, aber Clara kann ihm nicht folgen, nicht heute, da diese anderen Frauen, die doch kaum in der Lage sein dürften, seine Anspielungen zu verstehen, um ihn buhlen. Das hat er nicht verdient. Da ist doch keine für ihn dabei.
    Raffael schaut kurz zu ihr herüber, sie lächelt irritiert, aber jetzt ist sie sich nicht mehr sicher, dass er tatsächlich sie meint, nur sie.
    Anders als an den vorangegangenen Kurstagen, als sie immer noch eine Weile versonnen auf ihrem Platz sitzen geblieben ist, nachdem Raffael seine Ausführungen beendet hatte, kann Clara es diesmal kaum abwarten. Gott sei Dank sitzt sie wieder ganz außen in der Reihe und ziemlich weit vorn. Ein guter Startplatz für ihr Vorhaben.
    Sie schaut auf die Uhr. Lange kann es nicht mehr dauern. Vielleicht noch drei Minuten. Kaum hat Raffael seine letzten Sätze gesprochen, steht sie auf. Er verneigt sich freundlich – wie bescheiden er ist! – und bleibt ruhig stehen, während der Applaus um ihn herum aufbrandet. Clara hat es gleich geschafft und die fünf Reihen hinter sich gelassen, wenn ihr jetzt nicht noch eine Konkurrentin ein Bein stellt.
    Sie steht vor Raffael, der schaut sie ebenso belustigt wie direkt an. Was für intensive Augen er hat und dieser fordernde Blick. Eigentlich weiß sie gar nicht, was sie sagen soll. Sie wollte nur den anderen zuvorkommen und die Erste sein. Und das ist ihr gelungen. Sie sagt immer noch kein Wort, und er steht einfach da und lächelt. Umwerfend.
    »Übermorgen im Dolce Vita, um acht?«, sagt er.
    Clara ist wie benommen. Sie wird rot, bleibt unschlüssig stehen. Sie spürt die Blicke der anderen. Hinter ihr wächst die Schlange der Frauen, die Raffael noch etwas fragen wollen.

Ein Schnitt für die Liebe
    I ch liege auf dem Operationstisch, bin aber bei vollem Bewusstsein. Nur mein Unterleib ist entblößt, oben herum habe ich etwas an. Ein Mann im kurzen grünen Hemd kommt in den erstaunlich kleinen, erstaunlich schwarz gefliesten OP-Saal und stellt sich als Pfleger Holger vor. Er wirkt freundlich, aber nicht anbiedernd kumpelhaft, was angesichts dessen, was wir jetzt hier vorhaben – er, ich und der Arzt –, auch unangemessen wäre. Er beugt sich über mich und nestelt an meinem Unterleib herum.
    Eine seltsame Perspektive, wenn sich jemand über einen beugt und einen in den Schritt fasst, der einen nicht lieb hat. Pfleger Holger hat Gummihandschuhe an. Er zieht mit seinen behandschuhten Händen meinen Penis nach oben, sodass er in Richtung der Operationslampe zeigt wie eine Opferkerze, die unter einem Heiligenbild flackert. Mit einem Plastik-Einmalrasierer schabt Pfleger Holger in regelmäßigen Bahnen das Schamhaar von meinem Hodensack herunter. Wie beim Rasenmähen, eine Spur neben der anderen. Das kratzt und macht Gänsehaut, ein komisches Gefühl, auch wenn weder mein Penis noch die Hoden geopfert werden sollen.
    Iris Radisch hat einmal für die »Zeit« einen

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