Betthupferl: Roman (Fraueninsel-Reihe) (German Edition)
kleinen Kiesstrand hier im Garten sitzen, die Füße im Wasser, in stillschweigendem Einverständnis. Nur mit ihr redete ich darüber, dass ich die ganze Zeit darüber nachdachte, ob meine Eltern nach den Ferien überhaupt noch zusammen sein würden oder ob sie sich dieses Mal wirklich getrennt hätten. Sie sagte nie so doofe Sachen wie: »Ach, das wird schon wieder.« Oder: »Sei doch froh, wenn sie sich scheiden lassen, dann kriegst du mehr Geschenke.« Sie legte nur den Arm um meine Schulter und drückte sie so, wie ich jetzt ihre drücke. Schneeweiß sind ihre Haare geworden, aber ihre hohe Stirn hat kaum Falten, und obwohl sie das Gesicht vor Schmerz zusammenpresst, kann man sehen, wie tief ihre Grübchen als junge Frau gewesen sein müssen.
»Ich will nicht, dass du stirbst«, flüstere ich so leise, dass sie es nicht hören kann, und wende mein Gesicht ab, damit sie meine Tränen nicht sieht. »Bleib bei mir, Tante Caro!«
»Wieso die Letzte Ölung?«, ruft Schwester Sebastiana resolut, als sie in einem schwarzen Jogginganzug und einer schwarzen Mütze, unter der kurze graue Haare hervorschauen, das Zimmer betritt und sich nicht im Mindesten von der gelblichen Gesichtsfarbe meiner Tante beeindrucken lässt. »Das kann sowieso nur ein Priester machen. Sie hat Entzugserscheinungen vom Morphium, das sie bekommen hat. Kein Wunder, wir wissen schließlich nicht genau, seit wann und vor allem wie viel. Wir brauchen Okoubaka C 200. «
»Bitte was?«, frage ich irritiert.
»Eine homöopathische Medizin zur Entgiftung. Ich rufe Gorvinder an, der soll uns das mitbringen.«
Ob es jetzt Gorvinders Kügelchen sind oder die Ölmassage, die er Tante Caro verpasst und bei der er an ihr herumklopft, als würde er ein Kopfkissen aufschütteln – als Helga morgens um acht von ihrer Nachtschicht heimkommt, hat Tante Caro einen großen Teller Reis mit Butter verdrückt und sich, auf Dieter gestützt, sogar zum Pipimachen aufs Klo führen lassen. Der Schmied ist inzwischen wieder in seiner Filz-Leder-Holzschlappen-Montur nach München gefahren. Ins Seminar an der Kunstakademie. Aber weil ich die ganze Zeit damit rechne, dass Doktor Bergmann und die Federlein vor der Tür stehen und ihren »Schützling« wieder einfordern, gehe ich zu Basti in die Werkstatt und hole mir die Gästebücher, um keine Zeit zu verlieren.
»Sefferl, bist du da?«, schreit die Emerenz in die Werkstatt, taucht neben mir auf und breitet ihr Kopftuch auf Bastis Lager aus, bevor sie sich in ihrem Streublumenkittel darauf setzt. »Stimmt das, dass sie der Caroline ein Rauschgift gegeben haben?«
»Ach wo«, meine ich genervt, weil ich ein bisschen überfordert bin angesichts der vielen schwarz eingebundenen Notizbücher mit den handgeschriebenen Jahreszahlen auf den Bücherrücken. »Sie muss nur ein wenig entgiften nach den ganzen Beruhigungsmitteln. Aber gut, dass du hier bist, Emerenz, ich hätte da mal eine Frage zum Märchenkönig. Ich muss meine Suche in den alten Gästebüchern vom Seeblick eingrenzen, sonst dauert das einfach zu lange.«
Die Emerenz streckt erwartungsvoll das Kinn vor. »Frag mich nur, Kind, damit du was lernst.«
»Baubeginn am Königsschloss auf der Herreninsel war der Mai 1878, so viel habe ich im Internet gefunden. Aber wo hat denn der König gewohnt, wenn er es besichtigt hat?«
»Mei, ein Appartement hat er gehabt, auf der Herreninsel, das habens ihm eingerichtet.«
»Und bevor das eingerichtet war?«
Die Emerenz schaut mich finster an. »Das weiß ich ned!«
»Okay. Nächste Frage. Als er die Herreninsel dieser Holzverwertungsgesellschaft vor der Nase weggekauft hat, hat er sich doch sicher mal Herrenchiemsee angeschaut? Und die Fraueninsel vielleicht auch? Oder kauft man sich als Märchenkönig so eine Insel einfach mal unbesehen? Und wo hat er gewohnt, als er die Inseln besichtigt hat?«
Der Mund von der Emerenz ist nur noch ein dünner, beleidigter Strich. Offensichtlich hat sie es gar nicht gern, wenn man sie etwas über ihren Kini fragt, worauf sie keine Antwort hat.
»Das weiß ich ned, und das interessiert mich auch ned!«
Sie steht auf, packt ihr Kopftuch und rauscht ab. Ich staple einen Stoß Gästebücher von 1870 bis 1880 in die kleinste Kiste und mache mich ein paar Minuten später in meinem Dachzimmer daran, die verblasste Schrift aus bräunlich gewordener Tinte zu entziffern. Die Gäste waren damals weniger auf der Durchreise als heute, sie blieben mindestens eine Woche, manche gleich einen ganzen
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