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Bettler 01 - Bettler in Spanien

Titel: Bettler 01 - Bettler in Spanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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war. Als sie zehn war, experimentierte Miri bereits mit der Dosierung von Neurotransmittern, wobei sie sich selbst und den bereitwilligen Tony als erste Versuchsobjekte benutzte und Christina und Nikos als Kontrollgruppe. Doktor Toliveri bestärkte sie bei ihrer Arbeit. »Du wirst sehen, Miranda, bald wirkst du selbst an der nächsten Super-Generation mit!«
    Aber das war alles nicht genug. Irgend etwas fehlte immer noch in ihren Fadengebilden, etwas, das Miri selbst nur so vage bewußt war, daß sie es mit niemandem außer Tony besprechen konnte. Und der, so stellte sich heraus, hatte keine Ahnung, was sie meinte.
    »D-D-Du m-m-meinst, M-Miri, d-d-daß m-m-manche F-Fäden Sch-Sch-Schwachstellen h-h-haben, w-w-weil die D-D-Datenbanken, aus d-d-denen die B-B-Begriffe st-t-tammen, u-u-unv-v-ollst-t-tändig sind?«
    Sie hörte die gesprochenen Worte, aber sie hörte noch mehr: die Fäden, die dazugehörten, die Tony-Fäden aus seinem eigenen Kopf, von denen sie genau wußte, wie sie aussahen, weil sie ihn so gut kannte. Er saß da, den großen Kopf in die Hände gestützt – wie sie alle so gern dasaßen –, und seine Mundwinkel, seine Lider und die Muskeln an den Wangen flatterten, während das dichte dunkle Haar im Rhythmus mit den Zuckungen seines Körpers über seine Stirn schwang. Seine Fäden waren prachtvoll, stark und klar, aber Miri wußte, sie waren nicht so lang wie die ihren oder so komplex in ihren Querverbindungen. Er war neun Jahre alt.
    »N-N-Nein«, sagte sie langsam, »n-nicht u-u-unv-vollst-t-tändige D-D-Datenbanken. M-Mehr w-w-wie… f-f-fehlender R-R-Raum, w-wo eine a-andere D-D-Dimension von F-F-Fäden P-P-Platz h-h-hätte.«
    »Eine d-d-dritte D-D-Dimension von G-Gedanken!« sagte er glücklich. »H-H-Herrlich! A-Aber w-w-warum? Es p-paßt d-d-doch a-a-alles in z-zwei D-D-Dimensionen h-hinein. J-Je einfacher ein M-M-Modell, d-d-desto h-h-höher s-s-seine Qualit-t-tät.«
    Sie hörte die Fäden bei dieser Bemerkung: Occams Skalpell, Minimalismus, Eleganz des Programmes, geometrische Theoreme. Miri machte eine plumpe Handbewegung; sie waren alle sechs manuell nicht besonders geschickt und vermieden aus diesem Grund instinktiv Arbeiten, bei denen vielerlei Gegenstände durch ihre Hände gehen mußten. Wenn es unumgänglich war, programmierten sie lieber Roboter, die dann das Manuelle für sie erledigten.
    Tony umarmte sie. Zwischen ihnen brauchte es keine Worte, und das war eine dritte Sprache, die zur Einfachheit der Wörter und der Komplexität der Fäden hinzukam – und sie funktionierte besser als jede andere.
     
    Diesmal sah Jennifer ausnahmsweise wirklich erschüttert aus.
    »Wie konnte denn das passieren?« fragte Ratsmitglied Perrilleon. Er war so bleich wie Jennifer.
    Die junge Ärztin schüttelte den Kopf. Sie trug immer noch sterile OP-Kleidung, und die Vorderseite ihres Kittels war blutverschmiert. Sie war direkt aus dem Entbindungsraum des Krankenhauses zu Jennifer geeilt, die sofort eine dringliche Ratssitzung einberufen hatte. Die Ärztin sah aus, als wäre sie den Tränen nahe. Erst vor zwei Monaten war sie – viel dünner geworden – von der Erde nach Sanctuary zurückgekehrt, nachdem sie ihre medizinische Ausbildung, wie immer noch zwingend vorgeschrieben, dort absolviert hatte.
    Perrilleon fragte: »Haben Sie schon die Geburtsurkunde ausgefüllt?«
    »Nein«, sagte die Ärztin. Jennifer hielt sie für intelligent und sehr fähig.
    Das Entsetzen, das rund um den Tisch zu spüren war, legte sich zwar nicht, aber eine fast unmerkliche Erleichterung lockerte es. Es gab noch keine offizielle Mitteilung nach Washington.
    »Dann haben wir noch ein wenig Zeit«, sagte Jennifer.
    »Wären wir nicht immer noch an den Staat New York und die Regierung der Vereinigten Staaten gebunden, hätten wir noch mehr Zeit«, stellte Perrilleon fest. »Geburtsurkunden ausfüllen, Wohlfahrt-Versicherungsnummern…« – er schnaubte verächtlich – »… die Eintragung in die Steuerkartei…«
    »Nichts davon ist momentan von Bedeutung«, fiel ihm Ricky leicht ungeduldig ins Wort.
    »O doch«, beharrte Perrilleon. Jennifer merkte, wie sein langes Gesicht eigensinnige Kanten bekam. Er war zweiundsiebzig, nur ein paar Jahre jünger als sie, und war bereits mit der ersten Welle von Einwanderern von der Erde gekommen. Er wußte, er hatte gesehen, wie es dort zuging – zum Unterschied von den Schlaflosen, die schon in Sanctuary geboren waren –, und er erinnerte sich daran. Seine Stimme hatte sich als

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