Bettler 01 - Bettler in Spanien
äußerst nützlich für Jennifers Absichten im Hinblick auf Sanctuary erwiesen, und er würde ihr fehlen, wenn seine Amtsperiode endete.
»Wir müssen uns mit der Frage befassen«, sagte Najla, »welche Alternativen wir haben. Und dafür bleibt nicht viel Zeit. Wenn bei der Einreichung der Geburtsurkunde dieses… Babys nicht alles mit gewohntem Tempo abläuft, könnte es irgendeiner verdammten Behörde gelingen, einen Durchsuchungsbefehl zu bekommen.«
Und das war etwas, das sie alle fürchteten – einen legalen Grund für Schläfer, nach Sanctuary zu kommen. Sechsundzwanzig Jahre lang hatten sie darauf geachtet, daß sich kein solcher Grund ergeben konnte, indem sie jede einzelne bürokratische Vorschrift sowohl des Staates New York als auch der gesamten Vereinigten Staaten peinlich genau befolgten. Sanctuary als Eigentum einer Körperschaft, die im Staat New York eingetragen war, fiel unter die dortige Gerichtsbarkeit; im Staat New York wurden alle rechtlichen Anträge gestellt, Sanctuarys Ärzte und Anwälte erhielten von dort die amtliche Zulassung für die Ausübung ihres Berufes, an den Staat New York wurden die Steuern abgeliefert – und jedes Jahr wurden mehr Anwälte nach Harvard geschickt, um zu erfahren, wie man ›hier‹ und ›dort‹ rechtlich fein säuberlich trennte.
Dieses neuangekommene Baby konnte möglicherweise diese Trennung zunichte machen.
Jennifer hatte ihre Fassung wiedererlangt. Sie war immer noch sehr blaß, aber sie hielt den Kopf mit seiner Krone aus schwarzem Haar wieder hoch. »Wollen wir mit der Feststellung der Alternativen anfangen. Sollte dieses Baby sterben, dann würde wie üblich sein Leichnam zur Autopsie nach New York geschickt werden.«
Perrilleon nickte. Er wußte bereits, in welcher Richtung sie vorgehen wollte. Sein Nicken bedeutete Unterstützung.
Sie fuhr fort: »Wenn das geschieht, hätten die Schläfer eine rechtliche Basis für das Eindringen in Sanctuary. Eine Anklage wegen Mord.«
Niemand erwähnte auch nur mit einem Wort jenes Zerrbild eines Mordprozesses vor fünfunddreißig Jahren. Diesmal würde es anders sein. Sanctuary würde verurteilt werden.
»Andererseits«, sagte Jennifer mit ihrer klaren Stimme, »wäre es medizinisch wohl durchaus machbar, daß das Baby scheinbar am plötzlichen Kindstod oder aus einem anderen unwiderlegbaren Grund stirbt. Ansonsten und wenn das Baby am Leben bleibt, müssen wir es großziehen, hier, mit unseren eigenen Kindern. In seinem… Zustand, mit all seinen Implikationen.« Sie schwieg eine Sekunde lang. »Ich denke, unsere Entscheidung sollte eindeutig sein.«
»Aber wie konnte das passieren!« platzte Ratsmitglied Kivenen heraus. Sie war sehr jung und neigte zu Weinerlichkeit. Sie würde Jennifer nicht fehlen, wenn ihre Amtsperiode endete.
Doktor Toliveri sagte: »Wir wissen über die Vererbung genetischer Informationen über längere Zeiträume hinweg noch nicht so viel, wie wir gerne wüßten. Erst seit zwei Generationen tritt das Phänomen angeborener Schlaflosigkeit auf, die ohne unser Zutun zustandekommt…« Seine Stimme versagte. Zweifellos gab er sich als Sanctuarys Chefgenetiker selbst die Schuld. Das erschien Jennifer so offensichtlich ungerechtfertigt, daß sie Ärger verspürte. Raymond Toliveri war ein hervorragender Genetiker, ihm verdankte sie Miranda, ihre kostbare Miranda… Doch dieses Baby verursachte bereits jetzt Disharmonien und Spannungen in der Gemeinschaft!
Aber geschah das nicht immer?
Ratsmitglied Kivenen sagte zu der jungen Ärztin: »Schildern Sie uns noch einmal, was passiert ist.«
»Die Entbindung verlief normal.« Ihre Stimme hatte sich gefestigt. »Ein vier Kilogramm schwerer Junge. Schrie sofort. Die Schwester säuberte ihn und brachte ihn zum McKelvey-Waller-Scanner, um wie bei allen Neugeborenen die Gehirnwerte feststellen zu lassen. Das dauert etwa zehn Minuten. Und während er dort in dem weich ausgepolsterten Scannerkorb lag… – schlief der Junge ein.«
Doktor Toliveri beendete das darauffolgende Schweigen: »RNA-Regression zum Mittelwert hin… Wir wissen noch so wenig über die redundanten Informationscodes…«
»Es ist doch nicht Ihre Schuld«, unterbrach ihn Jennifer ungehalten. Sie ließ ihre Worte auf die Anwesenden einwirken, so daß ihnen bewußt werden mußte, welche Schuldgefühle ein Schläfer – selbst ein neugeborener Schläfer – in völlig schuldlosen Menschen wecken konnte. Dann eröffnete sie die Diskussion.
Die Ratsversammlung spielte alle
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