Bettler 01 - Bettler in Spanien
hatte ihn dabei gestört; die Schule erwartete von ihren Schülern, in deren Hände eines Tages die Geschicke des Landes gelegt sein würden, ihre Motivation selbst mitzubringen.
Leisha suchte ihm als nächstes die Schule mit dem vielfältigsten Lernprogramm aus, die sie finden konnte. Es gefiel ihm dort vom ersten Tag an; er entdeckte das Schauspielfach und war der Star seiner Theatergruppe. »Ich habe meine Bestimmung gefunden!« jubelte er bei einem Anruf nach Hause. Leisha verzog das Gesicht; Alice lachte. Aber vier Monate später war Drew wieder daheim, verbittert und schweigsam. Er hatte weder in Tod eines Handlungsreisenden noch in Morgenlicht eine Rolle bekommen. Alice fragte ihn teilnahmsvoll: »War es deshalb, weil sie keinen Willy Loman oder Kelland Vie wollten, der im Rollstuhl sitzt?«
»Es waren die faulen Tricks der Macher«, stieß Drew hervor. »Und so wird es immer sein!«
Also suchte Leisha fieberhaft nach einer Schule mit einem anspruchslosen geisteswissenschaftlichen Lehrplan, wo man mehr Gewicht auf Kunsterziehung und einen sorgfältig durchgeplanten Schultag legte. Außerdem wünschte Leisha sich einen möglichst hohen Prozentsatz von Schülern, deren Familien weder politische Ambitionen, noch eindrucksvolle finanzielle Verhältnisse oder illustre Vorfahren hatten. Sie fand eine in Springfield, Massachusetts, die alldem entsprach, und es hatte so ausgesehen, als ob Drew sich dort wohl fühlte. Leisha war der Meinung gewesen, diesmal würde alles gutgehen, aber nun war er schon wieder da.
»Du solltest dein Gesicht sehen«, sagte Drew mürrisch. »Warum sagst du es nicht laut heraus? ›Da haben wir ihn wieder einmal, unseren kleinen Schwachkopf, der glaubt, eines Tages würde er jemand sein, und der einfach nichts taugt! Was sollen wir bloß mit dem jämmerlichen Nutzer anfangen?‹«
»Was sollen wir mit ihm anfangen?« fragte Leisha mitleidlos.
»Warum gebt ihr es denn nicht auf mit mir?«
Alice rief: »0 nein, Drew!«
»Nicht du, Oma Alice. Sie. Sie meint nämlich, daß alle Leute gut daran täten, wahre Wunderwerke zu sein. Sonst existieren sie nicht für sie.«
»Im Gegensatz zu den Leuten, die glauben, wahre Wunderwerke zu sein, bloß weil sie existieren, die aber nichts dazu beitragen, aus dieser Existenz ein erfülltes Leben zu machen?«
»Jetzt reicht’s aber, ihr beide!« polterte Alice.
Leisha reichte es nicht; Drews Aufsässigkeit hatte sie an Stellen getroffen, die zu spüren sie nicht mehr für möglich gehalten hatte. Sie hatte nicht einmal gewußt, daß sie überhaupt noch vorhanden waren. Sie sagte: »Wo du schon mal daheim bist, Drew, wirst du sicher Eric sehen wollen. Er hat sich wunderbar zurechtgebogen und macht große Fortschritte mit seinen global-atmosphärischen Diagrammen. Jordan ist furchtbar stolz auf ihn.«
Drews grüne Augen blitzten. Leisha wandte ihm den Rücken zu. Plötzlich schämte sie sich so sehr, daß ihr fast übel wurde. Sie war dreiundsiebzig Jahre alt – eine unglaubliche Tatsache, sie fühlte sich nicht im entferntesten so alt –, und dieser Junge war sechzehn: mit naturbelassenen Genen, ein Schläfer, nicht einmal aus der Macherklasse stammend… Mit dem Älterwerden kam ihr offenbar jedes Mitgefühl abhanden! Warum sonst schloß sie sich in dieser Wüstenfestung von der Welt ab und zog sich vor einem Land zurück, das sie einst im Interesse all seiner Einwohner hatte verbessern wollen? Jugendträume…
Träume, die Drew nicht haben konnte.
»Also gut, Leisha«, sagte Alice müde. »Drew, Eric hat mich ersucht, dir etwas auszurichten.«
»Und was?« hörte Leisha Drew knurren. Aber es war ein eher sanftes Knurren. Auf Alice konnte er einfach nie richtig wütend sein. Nicht auf Alice.
»Eric läßt dir ausrichten, daß er als Teil seiner Studien in den Pazifik gesprungen ist und sich von den Wellen den Hintern hat abwischen lassen. Was meint er damit?«
Drew lachte. »Ehrlich? Das hat Eric gesagt? Da muß er sich wohl wirklich geändert haben.« Die dumpfe Bitterkeit kehrte in seine Stimme zurück.
Stella kam ins Zimmer gerannt und wirkte leicht konfus. Sie hatte zugenommen und sah jetzt aus wie ein Gemälde von Tizian. Üppiges, festes Fleisch unter üppigem rotem Haar. »Leisha, da ist… Drew! Was machst denn du zu Hause?«
»Er ist nur zu Besuch gekommen«, sagte Alice. »Da ist – was, Liebes?«
»Da ist jemand, der Leisha sprechen will. Eigentlich sind es drei.« Stella lächelte, und alle ihre Kinne wackelten vor
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