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Bettler 01 - Bettler in Spanien

Titel: Bettler 01 - Bettler in Spanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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wollen.
    So vorsichtig, als wäre sie eine chemische Substanz, die auf Erschütterung empfindlich reagiert, ging sie zurück zu ihrem Laboratorium. Wiederum saß sie an ihrem Arbeitstisch, die verschränkten, zuckenden Hände vor sich, und versuchte sich zu beruhigen. Nachzudenken. Geordnete, ausgewogene Gedankennetze zu konstruieren, die alles enthielten, was der Problemlösung förderlich war, alles Relevante – intellektuell, emotional, biochemisch – alles, was produktiv war. Nach zwanzig Minuten stand sie wieder auf und verließ das Labor.
    Auf Nikos Demetrios, Christinas Zwillingsbruder, übte Geld eine außerordentliche Faszination aus. Der internationale Geldfluß, die Fluktuationen, Verwendungszwecke, Wechselkurse und Symbole waren, wie er einmal Miri erklärt hatte, komplizierter als alle natürlichen Gäamuster auf der Erde und für das biologische Weiterbestehen ebenso nützlich, aber viel interessanter. Schon mit vierzehn hatte er den erwachsenen NormalSchlaflosen an der Börse von Sanctuary Tips für internationale Geschäfte gegeben, und sie kauften, was er an günstigen Investitionen vorschlug, rund um den Globus auf: eine neue Technik zur Ermittlung des Winddrucks aus Seoul, die sich noch im Entwicklungsstadium befand, ein katalytisches Antikörper-Arzneimittel, das in Paris auf den Markt gekommen war, die gesamte aufkeimende marokkanische Luft- und Raumfahrtindustrie. Miri fand ihn, umringt von Terminals, in seinem winzigen Büro im zentralen Kommunikationsgebäude.
    »N-N-Nikos…«
    »H-H-Hallo, M-M-M-Miri.«
    »M-M-Möchtest d-d-du S-S-Sex m-mit m-mir h-h-haben?«
    Nikos starrte sie unverwandt an. Rote Flecken krochen von seinem Hals hinauf zur Stirn. Miri sah, daß Nikos genauso verlegen war wie David Aronson, aber im Gegensatz zu David schien es nicht die Unverblümtheit der Frage zu sein, die ihn verlegen machte. Miri wußte nur einen einzigen Grund, weshalb er sonst verlegen sein könnte. Sie drehte sich um und stolperte aus dem Büro.
    »W-W-Warte d-d-doch, Mi-Mi-Mi-Miri!« rief Nikos ihr nach. Seine Stimme klang ehrlich bekümmert. Sie waren schließlich ihr ganzes Leben lang Spielkameraden gewesen. Er konnte seine Bewegungen noch weniger koordinieren als sie; sie rannte ihm mit Leichtigkeit davon.
    Wieder in ihrem Labor, versperrte Miri die Tür und aktivierte die Abdichtung für die sterilen Laborbedingungen. Dann setzte sie sich hin und zwang sich mit allen Kräften, nicht zu weinen. Großmutter hatte recht gehabt: Es galt, unumgänglichen Notwendigkeiten ins Gesicht zu sehen. Man weinte nicht.
    Künftig benahm sie sich Nikos gegenüber höflich und distanziert. Er schien nicht sicher zu sein, was er davon halten sollte. Und eines Tages sah sie ihn mit einer Normalen, einer hübschen Vierzehnjährigen namens Patricia, die offenbar völlig gefangengenommen war von Nikos’ Finanztalenten. Schon früher hatte Miri wenig mit Christina gesprochen, und jetzt wurde es noch weniger. David bekam sie nicht mehr zu Gesicht. Mit Tony war es so wie immer: er war ihr Arbeitskollege, Freund, zärtlich geliebter Vertrauter. Ihr Bruder. Jetzt gab es eben diesen einen Bereich, auf den sich die Vertrautheit nicht erstreckte, das war alles. Es hatte keine Bedeutung. Sie gestand ihm keine Bedeutung zu. Unumgängliche Notwendigkeit.
    Zwei Wochen später fing Miri wieder an, die Stationen von der Erde zu empfangen, verfolgte aber nur die Sendungen der Sexkanäle. Es gab rauhe Mengen davon. Sie fand einen, der ihr zusagte, löschte alle Netzhautbilder außer ihrem eigenen von der Türprogrammierung des Labors und lernte, wirksam zu masturbieren. Das tat sie zweimal täglich, denn ihre neurochemischen Reaktionen liefen auf diesem Gebiet ebenso hochtourig ab wie auf jedem anderen. Sie ließ es nie zu, daß sie während dieses Vorgangs an Tony dachte, und Tony fragte sie nie, weshalb er nicht mehr unangemeldet ihr Labor betreten durfte. Es war nicht notwendig. Er wußte es. Er war ihr Bruder.
     
    Als sie sich in dem Sessel niederließ, auf den Drew wies, kam Leisha ein komischer Gedanke: Ich wünschte, ich würde rauchen. Sie erinnerte sich an ihren Vater, wie er ein Ritual daraus gemacht hatte, sein goldenes Zigarettenetui mit dem Monogramm hervorzuholen, eine Zigarette zu entnehmen und sie anzuzünden. Seine Augen schlossen sich dabei halb, und seine Wangen wurden beim ersten Zug etwas hohl. Roger hatte stets behauptet, es würde ihn entspannen. Schon damals hatte Leisha gewußt, daß er log: Es belebte

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