Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Bettler 01 - Bettler in Spanien

Titel: Bettler 01 - Bettler in Spanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
Vom Netzwerk:
ihn.
    Und was davon wollte sie jetzt? Beruhigung oder Belebung? Sie fürchtete, sie würde beides benötigen, und das, was Drew anzubieten hatte, würde ihr keins von beidem bringen.
    Er hatte darauf bestanden, daß sie die erste sein sollte – und zwar allein. »Eine neue Kunstform, Leisha«, hatte er ihr mit dieser seltsamen Gefühlsbetontheit erklärt, die ihn seit Erics illegal vorgenommenem Experiment kennzeichnete. Drew war immer schon gefühlsbetont gewesen, aber das war nun etwas völlig anderes. Er sah sie unter diesen dichten, dunklen Wimpern hervor an, und sie hatte Angst um ihn. So also fühlt man sich als Mutter, dachte sie, diese Angst, daß dein Kind unfähig sein würde, das zu erreichen, wonach sein Herz strebte. Daß es versagen würde und dir das mehr weh tun könnte als jeder deiner eigenen Fehlschläge. Wie hatte Alice das nur ausgehalten? Und Stella?
    Aber nicht Roger. Er war von Anfang an überzeugt gewesen, daß sein Kind nicht versagen würde. Überraschung, Papa! Schau mich jetzt an! Zwanzig Jahre lang untätig in der Wüste herumzulungern, ein Achill, dessen dumme Kriege von jemand anderem ausgetragen wurden, während Leisha einen Sohn aufzog, dessen größtes Talent Bagatelldelikte waren und der nicht einmal ihr eigener war.
    Nicht allzu freundlich sagte sie zu Drew: »Ich muß dich darauf aufmerksam machen, daß ich mir noch nie viel aus Kunst gemacht habe, in keiner Form. Vielleicht sollte besser jemand anderer…«
    »Ich weiß, daß du nichts davon verstehst. Deshalb wollte ich dich dabeihaben.«
    Sie setzte sich bequemer hin. »Na gut. Fangen wir an.« Es klang resignierter als geplant.
    »Lichter aus«, sagte Drew. Es wurde dunkel.
    Während der vergangenen sieben Monate war der Raum in dem Anwesen in New Mexico mit Bühneneinrichtungen im Wert von einer halben Million Dollar ausgestattet worden. Leisha hörte, wie Drews Rollstuhl sich über den Boden bewegte. Als der Hologrammprojektor an der Decke sich einschaltete, saß Drew direkt darunter, die Bedienungskonsole auf dem Schoß. Rund um ihn war nichts: weder Boden noch Wände noch Decke – nichts als Drew in der samtigen Schwärze einer ziemlich alltäglichen Nullprojektion.
    Er begann mit leiser Stimme zu sprechen. Einen Moment lang hörte Leisha nichts als nur die Stimme selbst, ruhig und wohltönend. Sie hatte nie wahrgenommen, daß Drew eine so schöne Stimme besaß. In normaler Umgebung fiel es einem wohl nicht auf. Dann erst drangen die Worte zu ihr durch. Ein Gedicht. Drew – Drew – rezitierte ein altes Gedicht, etwas von goldenen Hainen, die sich entblätterten… Leisha wußte, daß sie es schon gehört hatte, konnte sich aber nicht entsinnen, von wem es stammte. Drews wegen fühlte sie sich ein wenig peinlich berührt; seine Stimme klang zwar schön und beruhigend, aber zu holographischen Illustrationen Gedichte vorzutragen, war so ziemlich das Letzte an halbwüchsig-affektierter Pseudokunst. Leishas Herz krampfte sich zusammen; wieder ein falscher Schritt, wieder ein Reinfall…
    Aus der Finsternis schwammen Formen auf sie zu.
    Sie waren nicht ganz zu identifizieren, und doch kannte Leisha sie. Sie strichen über Drew hinweg, hinter ihm vorbei, vor ihm, ja sogar durch ihn hindurch, während er das Gedicht beendete und von neuem begann. Dasselbe Gedicht. Zumindest hielt Leisha es für dasselbe; sie war nicht sicher, weil es ihr so schwerfiel, sich auf die Worte zu konzentrieren. Poetische Dichtungen hatte sie nie besonders gemocht, aber es wäre ihr in jedem Fall schwergefallen, sich darauf zu konzentrieren. Sie konnte ihre Aufmerksamkeit nicht von den Formen abwenden. Sie glitten hinter Drew, und Leisha versuchte, ihnen mit den Augen zu folgen, versuchte, durch ihn hindurchzublicken, um sie zu sehen, aber es ging nicht. Die Anstrengung war ermüdend. Als die flackernden Formen wieder hinter Drew hervorkamen, hatten sie sich verändert. Leisha beugte sich vor, um sie besser auszumachen… sie erkannte sie wieder…
    Drew begann zum drittenmal mit dem Gedicht. »O Margaret, weshalb die Trauer um goldner Haine Blätterschauer…«
    Sie trauerte, aber nicht um Blätter. Die Formen schlüpften in ihre Gedanken und wieder hinaus, und plötzlich war Drew verschwunden… Er mußte gut sein, um so etwas zu programmieren… und die Woge der Trauer erfüllte sie. Endlich erkannte sie eine der Formen wieder: Es war ihr Vater. Roger. Er stand in dem alten Gewächshaus am Michigansee, in dem Haus, das vor sechsundzwanzig Jahren

Weitere Kostenlose Bücher