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Bettler 01 - Bettler in Spanien

Titel: Bettler 01 - Bettler in Spanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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nicht nur positive. »Drew – das ist es wohl, was es heißt zu träumen, oder? Das machen die Schläfer?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein. Nicht oft. Ich nehme an… Ich weiß eigentlich noch nicht, was geschehen ist. Du bist doch die erste, Leisha!«
    »Ich… träumte von meinem Vater. Und von meiner Mutter.«
    Seine Augen glänzten. »Gut, gut! Ich habe mit den Vorlagen meiner Eltern gearbeitet.« Sein junges Gesicht verfinsterte sich mit einemmal, verloren in irgendeiner persönlichen Erinnerung, die Leisha plötzlich gar nicht kennen wollte. Träumen… Aber das hier lag viel zu offen zutage. Es war zu irrational. Es hatte zu viel von einem Loslassen an sich, zu viel von einer Hingabe – doch wenn man sich dem Sonnenschein hingab, der sanften Süße… Nein. Es stellte nicht die Realität dar. Träume waren eine Art Flucht, das hatte sie immer gewußt, sie, die nie träumte. Träume waren ebensosehr eine Umgehung der realen Welt wie die Pseudowissenschaftlichkeit von Alices Studiengruppe für Zwillingsphänomene. Doch was sie mit Drews Hilfe soeben erlebt hatte…
    »Ich bin zu alt, um mir meine Welt nach außen drehen zu lassen wie einen Socken!«
    Drew grinste plötzlich, und sein Lächeln strahlte einen so reinen, von jeglicher Frustration oder Arroganz freien Triumph aus, daß Leisha ganz hingerissen davon war. Aber sie hielt sich mit aller Kraft an ihrer Vernunft fest und sagte: »Drew, bei den anderen vier Patienten, die diesen Eingriff in der mexikanischen Klinik machen ließen – bei denen zeigte sich nachher keine Spur eines solchen Effekts, keinerlei Veränderung, nichts…« Das Wort fehlte ihr.
    »Aber das waren keine Künstler«, sagte er mit der festen Überzeugung eines wiedergeborenen Jungen. »Und ich bin einer.«
    »Aber…«, begann Leisha, doch sie kam nicht weiter, weil Drew sich immer noch lächelnd, immer noch triumphierend, in seinem Rollstuhl weit vorbeugte und sie vehement auf den Mund küßte.
    Leisha rührte sich nicht. Sie spürte, wie ihr Körper reagierte, zum erstenmal seit… wie lange? Seit Jahren. Ihre Brustwarzen wurden hart, ihre Bauchmuskeln spannten sich an… er roch nach Mann, nach männlicher Haut, männlichem Haar. Ohne es zu wollen, öffnete sie die Lippen. Dann zuckte sie jäh zurück.
    »Nein, Drew!«
    »O ja!«
    Es widerstrebte ihr, seinen Triumph zu verderben, das beängstigende Werk, das er vollbracht hatte – sie hatte geträumt! Doch was das hier betraf, gab es keine Zweifel. »Nein.«
    »Warum nicht?« Er war blaß geworden, aber ruhig geblieben. Seine Pupillen waren riesig.
    »Weil ich achtundsiebzig Jahre alt bin und du zwanzig. Ich weiß, daß es für dich nicht so aussieht, aber in meinem Herzen – in meinem Herzen, Drew – bist du ein Kind. Und so wird es immer bleiben für mich.«
    »Weil ich ein Schläfer bin?«
    »Nein. Weil ich achtundfünfzig Jahre länger gelebt habe als du.«
    »Glaubst du nicht, daß ich das weiß?« fragte Drew hitzig.
    »Nein, das glaube ich nicht. Du hast keine Ahnung, was das bedeutet.« Sie bedeckte seine Hand mit der ihren. »Du bist wie ein Sohn für mich, Drew. Wie ein Sohn. Nicht wie ein Liebhaber.«
    Er sah ihr unverwandt in die Augen. »Und was hat dir dein Traum über Mütter und Väter und Kinder verraten, das so furchterregend war?«
    Eine Sekunde lang spürte sie den Traum wieder, und da tauchte eine schwache Ahnung hinter dem Traum auf, eine Kehrseite des sonnendurchfluteten Pfades, des lächelnden Roger mit seinen Händen voll exotischer Blüten, der liebevollen Elizabeth, wie sie nie gewesen war – zumindest nicht Leisha gegenüber. Leisha konnte diese Kehrseite nicht wirklich sehen, aber sie war da, sie existierte tief in ihrem Innern – es war eine Art, die Welt zu ordnen, die nichts zu tun hatte mit Recht und Gesetz oder wirtschaftlichen Zusammenhängen oder politischer Integration oder mit all den anderen Dingen, denen sie sich in ihrem Leben gewidmet hatte – nicht unbedingt eine schlechtere Art oder eine bessere, sondern nur eine andere, eine fremde… Die schwache Ahnung glitt davon.
    Mit allem Mitgefühl, dessen sie fähig war, sagte sie: »Es tut mir wirklich leid, Drew.«
    Als sie sich anschickte, den Raum zu verlassen, sagte er leise hinter ihr her: »Ich werde diese Kunst immer besser beherrschen, Leisha. Ich werde mehr aus deinem Unterbewußtsein herausholen, ich werde dir Dinge zeigen, von denen du nicht einmal wußtest, daß… Leisha!«
    Sie konnte ihm nicht antworten. Es hätte alles

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