Bettler 01 - Bettler in Spanien
betrachtete die Welt immer noch mit dem Willen, sich dafür zu interessieren – mit einer leise lächelnden Einschränkung, die besagte, daß anhaltendes Interesse verdient werden mußte.
Es war, wie Leisha sich stets erinnern würde, der Blick ihres Vaters.
»Ich dachte, ich sollte nach Hause kommen«, erklärte Drew, »für den Fall, daß diese politische Situation wirklich brenzlig wird.«
»Du hast noch Zweifel daran?« erwiderte Leisha ironisch. »Da kennst du Jennifer Sharifi nicht.«
»Nein, ich kenne sie nicht. Aber du. Leisha, sag mir, was wird mit Sanctuary passieren?«
Aus Drews Tonfall bei dem Wort Sanctuary hörte sie das alte zwanghafte Verlangen heraus. Wie stand er jetzt, bei seinem sonderbaren, sehr erwachsenen Beruf, zu dieser kindlichen Besessenheit? War Sanctuary, umgesetzt in die Formen des Verlangens, der Antrieb für seine lichten Träume?
»Die Armee wird Sanctuary nicht aus seiner Umlaufbahn schießen, falls du das meinst«, sagte Leisha. »Die da oben sind Zivilisten, wenngleich terroristische Zivilisten. Und ein Viertel von ihnen sind Kinder. Die Waffen, die sie haben, sind möglicherweise tödliche Bedrohungen für uns, aber Jennifer verfügte immer schon über zuviel politischen Scharfsinn, um die Grenze zu überschreiten und einen gefährlichen Gegenschlag zu provozieren.«
»Die Menschen ändern sich«, meinte Drew.
»Vielleicht. Aber selbst wenn der Fanatismus Jennifers Urteilsvermögen ausgehöhlt hat, so gibt es andere dort oben, die ihr Einhalt gebieten können. Ein äußerst kluger Anwalt namens Will Sandaleros und Cassie Blumenthal und natürlich ihre Kinder, die jetzt schon über vierzig sein müssen…«
Plötzlich erinnerte sie sich daran, wie Richard vor vierzig Jahren gesagt hatte: Man wird ein anderer, wenn man jahrzehntelang isoliert und ausschließlich mit Schlaflosen lebt…
Drew sah sie an und sagte: »Richard ist auch hier.«
»Richard?«
»Zusammen mit Ada und dem Jungen. Stella wieselte gerade um die drei herum, als ich ankam. Sean hat offenbar eine Erkältung. Du scheinst überrascht, daß Richard hier ist, Leisha.«
»Bin ich auch.« Sie grinste. »Du hast recht, Drew, die Menschen ändern sich. Findest du das nicht irgendwie lustig?«
»Ich war noch nie der Meinung, daß du viel Sinn für Humor hast, Leisha. Trotz all deiner anderen wunderbaren Fähigkeiten habe ich dir Humor nie zugetraut.«
»Versuch mich nicht zu ködern, Drew!« entgegnete sie scharf.
»Tu ich doch gar nicht«, sagte er, und aus seinem kleinen Lächeln sah sie, daß er nichts anderes gemeint hatte: Er war noch nie der Meinung gewesen, daß sie viel Sinn für Humor hatte. Nun, möglicherweise deckten sich ihre Vorstellungen von Humor nicht ganz. Wie so vieles andere auch.
Richard trat ein; er war allein. »Hallo, Leisha. Drew.« Es klang zerfahren. »Hoffe, der unangekündigte Besuch macht dir nichts aus. Ich dachte…«
Sie führte den Gedanken für ihn zu Ende: »Daß Najla oder Ricky, falls sie dir etwas mitteilen wollten, es über mich machen würden? Ach, Richard… Ich glaube, Kevin wäre der wahrscheinlichere Ansprechpartner. Sanctuary steht in Geschäftsverbindung mit ihm…«
»Nein. Kevin würden sie nicht nehmen«, sagte Richard, und Leisha fragte nicht, woher er das wußte. »Leisha, was wird mit Sanctuary passieren?«
Alle fragten sie das. Offenbar galt sie hier als Expertin in politischen Fragen. Sie, die seit dreißig Jahren in der Wüste saß – ›schmollte‹ hatte Susan Melling es genannt. Was ging in den Gehirnen der Menschen vor, selbst jener, die so waren wie sie? »Keine Ahnung, Richard. Was, denkst du, wird Jennifer tun?«
Richard sah sie nicht an. »Ich denke, sie würde die Welt in die Luft jagen, wenn sie der Meinung wäre, sie könnte sich dadurch endlich sicher fühlen.«
»Du behauptest… weißt du eigentlich, was du da sagst, Richard? Daß sich die ganze politische Philosophie von Sanctuary immer noch auf die persönlichen Bedürfnisse einer einzigen Person reduzieren läßt! Glaubst du das wirklich?«
»Ich glaube es von allen politischen Philosophien«, sagte Richard.
»Nein«, protestierte Leisha. »Nicht von allen.«
»O doch«, und es war nicht Richard, der ihr widersprach, sondern Drew.
»Nicht von der Verfassung«, beharrte Leisha und überraschte sich damit selbst.
»Wir werden ja sehen«, sagte Drew und glättete die feine, teure irische Wolle über seinen unbrauchbaren Beinen.
In seiner Existenz ohne Tag und Nacht und
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