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Bettler 01 - Bettler in Spanien

Titel: Bettler 01 - Bettler in Spanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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die internationalen Kurse seiner Wertpapiere auf höherem Niveau. Außerdem könnte man den Eindruck erhalten, daß Sanctuary in Wahrheit eher in der Lage wäre auszubeuten, als ausgebeutet zu werden. Und das jährliche Defizit von Sanctuary – falls überhaupt eines existiert – ist zweifellos geringer als jenes der Regierung der Vereinigten Staaten. Es ist so, als würde Oregon aus dem Umstand, daß es die Dienste des Bundes weniger in Anspruch nimmt als, sagen wir, Texas, und auch seine Steuerleistungen geringer ausfallen, das Recht ableiten, sich von der Union abzuspalten. Eine irrige Annahme.
    Nein, nach den Kriterien der historischen Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten müssen sowohl Oregon als auch Sanctuary in der Union verbleiben.
    Ein weiteres Argument, um Oregon zu behalten, wäre die negative Vorbildwirkung. Wenn Oregon sich abspaltet, warum dann nicht auch Kalifornien? Warum nicht auch Florida? Warum nicht Harrisburg, Pennsylvania? Die Balkanisierung der Union wurde mit der Beendigung jenes anderen Konflikts vor 225 Jahren verhindert, dessen Erwähnung Sanctuary in seinem Lossagungsdokument so sorgfältig vermeidet.
    Zum dritten darf Oregon eine Abspaltung nicht gestattet werden, weil dies einer Verletzung der rechtsverbindlichen Wechselbeziehung gleichkäme. Nur mit der wirtschaftlichen Unterstützung der übrigen Vereinigten Staaten – welche letzten Endes durch die vorangegangenen Arbeitsleistungen ihrer Bürger ermöglicht wurde – war es möglich, den Staat Oregon zu besiedeln und ihm zu wirtschaftlichem Wachstum zu verhelfen, ihn im neunzehnten Jahrhundert zum Zentrum des Pelzhandels zu machen und im einundzwanzigsten zum Zentrum der E-Klasse-ComLinkproduktion. Oregon muß diese Wechselbeziehung respektieren, selbst wenn es ihrer überdrüssig ist, denn auch ein Kind, dem von seinen Eltern der Besuch der Universität ermöglicht wurde, muß nach dem Gesetzesbeschluß von 2048 seine alten Eltern mit jener Summe unterstützen, die notwendig ist, um ihnen den gleichen Lebensstandard zu sichern, der dem Kind während der Ausbildung gegönnt war. Es kann sich seiner Eltern nicht einfach entledigen, weil es jetzt erfolgreicher ist als sie und sie nicht mehr braucht. Es kann sich nicht aus jener Wechselbeziehung davonstehlen, die ihm seine jetzige beneidenswerte Situation erst ermöglicht hat.
    Und Oregon kann das auch nicht.
    Schließlich darf Oregon sich deshalb nicht abspalten, weil es schlicht und einfach ungesetzlich ist. Mißachtung der Souveränität der Vereinigten Staaten, Abgabenverweigerung, Androhung von Aggression zur Aufrechterhaltung des eigenen Unabhängigkeitsanspruches – all das sind nach den Gesetzen der Vereinigten Staaten kriminelle Handlungen. Wenn Oregon den Versuch macht, sich von der Union abzuspalten, so ist dies eine kriminelle Handlung, – wenn man Oregon gestattet, Erfolg darin zu haben, wäre das ein Schlag ins Gesicht jedes gesetzestreuen Bürgers, jedes Bundesstaates und jeder Körperschaft dieses Landes.
    Warum Oregon nicht ziehen lassen? Wegen der nicht stichhaltigen Argumentation, wegen der negativen Vorbildwirkung, wegen der Verletzung der Wechselbeziehung, wegen der Gesetze.
    Und was für Oregon gilt, gilt auch für Sanctuary.
    Gleichgültig, wer dort lebt.
     
    Am Abend des sechsten Januar traf Drew in dem Anwesen in New Mexico ein. Es war ein ungewöhnlich kalter Tag gewesen; er hatte einen roten Schal um den Hals gewunden und eine passende Decke über seine Beine gelegt. Beides aus feinster irischer Wolle, wie Leisha bei sich anmerkte. Er fuhr den Rollstuhl in das riesige offene Wohnzimmer, das als Versammlungsort für fünfundsiebzig Personen konzipiert war und nun nie mehr als zehn oder zwölf beherbergte. Alices Tochter Alicia war mit ihrer Familie nach Kalifornien zurückgekehrt, Eric war in Südamerika, Seth und seine Frau in Chicago. Drew, merkte Leisha außerdem bei sich an, hatte sich erneut verändert.
    Die schrille Zurschaustellung des neuerworbenen Luxus durch den ein wenig zu selbstbewußten erfolgreichen Künstler hatte sich gelegt. Das machte die internationale Anerkennung. Er blickte hoch, als er Leisha begrüßte, und sein Gesichtsausdruck wirkte offen und zufrieden; er wollte nichts – nicht einmal Beifall. Er war jetzt seiner selbst sicher, auch ohne Leishas Bestätigung. Dennoch ordnete sein Blick sie nicht automatisch jenen zu, die weniger interessant waren als er selbst, was so vielen Berühmtheiten eigen ist. Drew

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