Bettler 01 - Bettler in Spanien
schon vier Semester weiter war, ging Leisha auch zum Einstandsball. Sie unternahm mit Kate Addams und zwei anderen Freundinnen einen Wochenendausflug mit der Concorde III nach Paris. Dann stritt sie einmal mit Stewart über die Frage, ob man den Ausdruck ›Supraleitfähigkeit‹ im übertragenen Sinn auf den Yagaiismus anwenden könnte – ein dummer Streit, von dem sie beide wußten, wie dumm er war, aber sie hatten ihn trotzdem. Und hinterher schliefen sie miteinander. Nach den ungeschickten sexuellen Anfangsversuchen mit Richard erschien ihr Stewart als gewandt und erfahren; er lächelte fast unmerklich, als er ihr beibrachte, nicht nur mit ihm zusammen, sondern auch allein zum Höhepunkt zu kommen, und Leisha war verblüfft. »Was für eine Wonne!« sagte sie, und Stewart sah sie mit einer Zärtlichkeit an, aus der eine gewisse Unruhe sprach; den Grund dafür kannte Leisha nicht.
Bei den ersten Prüfungen des Semesters erhielt sie die höchste Bewertung des ganzen Jahrganges. Sie hatte jede einzelne Frage, die gestellt worden war, richtig beantwortet. Zusammen mit Stewart ging sie zur Feier des Tages auf ein Bier, und als sie zurückkamen, war Leishas Zimmer verwüstet. Der Computer war zertrümmert, die Dateien gelöscht, Ausdrucke und Bücher glosten im metallenen Abfallkorb. Leishas Kleider waren in Fetzen gerissen, der Schreibtisch und die Spiegelkommode in Stücke gehackt. Das einzige, was nicht angerührt worden war und dastand wie neu, war das Bett.
»Unmöglich, daß das alles ohne Lärm vor sich gegangen ist«, stellte Stewart fest. »Jeder hier auf dieser Etage – was sage ich, auf der Etage unten! – muß etwas gehört haben. Irgend jemand wird die Polizei anrufen.« Keiner rief die Polizei an. Leisha saß wie benommen auf der Bettkante und starrte die Reste ihres Ballkleides an. Am nächsten Tag bedachte Dave Hannaway sie mit einem ausgiebigen, breiten Lächeln.
Starr vor Wut flog Roger Camden nach Osten. Er mietete Leisha in Cambridge ein Apartment mit elektronischem Sicherheitsschloß und einem Leibwächter namens Toshio. Sobald ihr Vater abgereist war, setzte Leisha den Leibwächter an die Luft, behielt aber das Apartment. Es erlaubte ihr und Stewart ein ungestörteres Zusammensein, das sie dazu benutzten, um das Vorgefallene endlos zu erörtern. Leisha war es, die es eine Entgleisung, einen kindischen Akt nannte.
»Stewart, es hat immer schon Leute gegeben, die alles und jedes hassen – Juden, Schwarze, Einwanderer und klarerweise die Yagaiisten, weil die mehr Initiative und Menschenwürde haben als sie. Ich bin bloß das jüngste Objekt für diesen Haß. Er ist weder neu noch außergewöhnlich. Und er ist auf keinen Fall Beweis für irgendeine tiefergehende Spaltung zwischen Schläfern und Schlaflosen.«
Stewart setzte sich im Bett auf und griff nach dem Teller mit den Sandwiches auf dem Nachttisch. »Wirklich nicht? Leisha, du darfst nicht vergessen, daß du eine völlig andere Kategorie Mensch bist. Du bist in evolutionärer Hinsicht besser gerüstet als die anderen, nicht nur, um im Überlebenskampf zu bestehen, sondern um zu obsiegen. Diese anderen Haßobjekte, die du genannt hast, das waren doch alles Machtlose in ihrer Gesellschaftsordnung, eingeordnet in niedrigere Kategorien. Ihr hingegen… Alle drei Schlaflosen in Harvard scheinen in der Law Review auf. Alle drei. Kevin Baker, der älteste von euch, hat bereits eine erfolgreiche Bio-Interface-Software-Firma auf die Beine gestellt und verdient sein eigenes Geld – und nicht wenig. Jeder Schlaflose scheffelt hervorragende Benotungen, keiner hat psychische Probleme, alle sind gesund, und die meisten von euch sind noch nicht einmal erwachsen. Was glaubst du, wieviel Haß euch entgegenschlagen wird, wenn ihr in die hochkarätigen Regionen der Finanz- und Geschäftswelt vorstoßt, zu den raren Lehrstühlen der Stiftungen und in die hohe Innenpolitik?«
»Gib mir ein Sandwich«, sagte Leisha. »Du irrst dich. Hier sind meine Beweise, daß du dich irrst: du selbst. Kenzo Yagai. Kate Addams. Professor Lane. Mein Vater. Jeder Schläfer, der sich in einem Umfeld aus Fairness und für beide Seiten vorteilhaften Verträgen bewegt. Und das tun doch die meisten von euch – oder zumindest die meisten von denen, die zählen. Ihr seid doch auch der Meinung, daß der Wettbewerb unter den Fähigsten jedermann zum Vorteil gereicht, dem Starken wie dem Schwachen. Nun leisten die Schlaflosen auf vielen Gebieten einen echten, konkreten Beitrag für
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