Bettler 01 - Bettler in Spanien
Exemplar ausdrucken ließ, obwohl sie für gewöhnlich die elektronischen Boulevardmedien ignorierte, kreiste die Schlagzeile weiterhin um den Kiosk. Ein Angestellter des Supermarktes hörte auf, Kartons in Regale zu ordnen, und starrte Leisha an. Bruce, Leishas Leibwächter, starrte den Angestellten an.
Leisha war zweiundzwanzig und studierte im letzten Jahr Jura in Harvard; sie war Redakteurin bei der Law Review und mit Abstand die Beste in ihrem Jahrgang. Auf den nächsten drei Plätzen lagen Jonathan Cocchiara, Len Carter und Martha Wentz. Alles Schlaflose.
In ihrem Apartment angekommen, überflog sie sogleich den Ausdruck der Zeitung. Dann rief sie am Computer das Groupnet aus Austin auf. Dort fand sie viele weitere Berichte über das Kind und dazu die Kommentare anderer Schlafloser, doch noch ehe sie etwas davon abrufen konnte, kam Kevin Bakers Stimme online aus dem Lautsprecher des Monitors.
»Leisha, ich bin froh, daß du dich meldest. Ich wollte ohnedies mit dir reden.«
»Wie sieht die aktuelle Situation mit dieser Stella Bevington aus, Kev? Hat jemand die Sache überprüft?«
»Randy Davies. Er ist auch aus Chicago, aber ich glaube nicht, daß du ihn kennst. Er geht noch auf die High School. Er wohnt in Park Ridge, Stella in Skokie. Ihre Eltern wollten nicht mit Randy reden, sie waren ziemlich beleidigend zu ihm, aber er hat es doch geschafft, mit Stella persönlich zu sprechen. Sieht nicht nach Kindesmißhandlung aus, bloß nach der üblichen Unvernunft. Die Eltern wollten unbedingt ein kleines Genie, dafür hatten sie sich das Geld vom Mund abgespart, und jetzt kommen sie nicht damit zurecht, daß sie eines haben. Sie wollen die Kleine mit allen Mitteln zum Schlafen bringen, setzen sie unter psychischen Druck, wenn sie ihnen widerspricht, aber bislang keine körperliche Gewalt.«
»Ist der psychische Druck klagbar?«
»Ich denke nicht, daß wir uns jetzt schon einschalten sollten. Zwei von uns werden engen Kontakt zu Stella halten – sie besitzt ein Modem und sie hat ihren Eltern nichts von unserem Groupnet erzählt –, und Randy wird jede Woche zu ihr hinausfahren.«
Leisha biß sich auf die Unterlippe. »In irgendeinem Käseblatt steht, sie ist sieben Jahre alt.«
»Stimmt.«
»Vielleicht sollte man sie nicht dortlassen. Ich wohne und lebe in Illinois, ich kann von hier aus eine Klage wegen Kindesmißhandlung einbringen, falls Candy einen zu vollen Terminkalender hat…«
Sieben Jahre alt!
»Nein, warten wir noch ein Weilchen zu. Stella wird sicher relativ gut damit fertigwerden, du weißt das.«
Ja, sie wußte es. Fast alle Schlaflosen wurden damit fertig, egal wieviel Ablehnung ihnen aus dem bornierteren Sektor der menschlichen Gesellschaft entgegenschlug – es kam immer nur aus dem bornierteren Sektor, fand Leisha, einer kleinen, wenngleich lautstarken Minderheit. Die meisten Menschen konnten und würden sich an die steigende Anzahl von Schlaflosen gewöhnen, wenn erst einmal feststand, daß ihre steigende Präsenz nicht nur wachsende Macht für die Schlaflosen, sondern auch wachsenden Nutzen für die Allgemeinheit bedeuten würde.
Kevin Baker, sechsundzwanzig, hatte sein Vermögen mit Mikrochips gemacht, die so revolutionär waren, daß die Schaffung künstlicher Intelligenz – einst ein Traum, dessen Realisierung in unendlich weiter Ferne lag – Jahr für Jahr ihrer Verwirklichung näherkam. Carolyn Rizzolo hatte für ihr Theaterstück Morning Light den Pulitzerpreis für Dramatik bekommen. Sie war vierundzwanzig. Jeremy Robinson hatte schon als Doktorand an der Stanford-Universität maßgeblich an der praktischen Anwendung der Supraleitfähigkeit gearbeitet. William Thaine, der Chefredakteur der Law Review gewesen war, als Leisha in Harvard zu studieren begonnen hatte, war jetzt in seiner eigenen Anwaltspraxis tätig und hatte noch nie einen Fall verloren. Er war sechsundzwanzig, und seine Klienten wurden immer prominenter; sie waren mehr an seiner Kompetenz interessiert als an seinem Alter.
Doch nicht alle Menschen verhielten sich so.
Kevin Baker und Richard Keller hatten das Datennetz aufgebaut, das den Schlaflosen ermöglichte, zu einer geschlossenen Gruppe zu werden. Jeder war stets auf dem laufenden, wer von den anderen gerade welche persönlichen Kämpfe auszutragen hatte. Leisha Camden finanzierte die rechtlichen Auseinandersetzungen, die Ausbildung von schlaflosen Kindern, deren Eltern nicht in der Lage waren, die Kosten dafür aufzubringen, und die Hilfe für Kinder
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