Bettler 01 - Bettler in Spanien
schlief; sie hatte den Kopf auf die Rückenlehne gelegt, und ein wenig Speichel lief ihr aus dem Mundwinkel. In dem schwachen Schein der schlecht beleuchteten Telefonzelle sah ihr Gesicht kalkweiß und völlig erschöpft aus. Leisha ging zurück zum Telefon.
»Stewart? Stewart Sutter?«
»Ja?«
»Leisha Camden. Es ist etwas passiert.« Sie gab ihm einen knappen, unverblümten Bericht über das Vorgefallene. Stewart unterbrach sie nicht.
»Leisha …«, sagte Stewart schließlich – und verstummte.
»Ich brauche Hilfe, Stewart.« ›Ich werde dir helfen, Alice!‹ ›Ich brauche deine Hilfe nicht!‹ Der Wind pfiff über das dunkle Feld hinter der Telefonzelle, und Leisha fröstelte. Sie hörte im Wind das dünne Wimmern eines Bettlers. Im Wind, in ihrer eigenen Stimme.
»Also gut«, sagte Stewart. »Wir tun folgendes. Ich habe eine Cousine in Ripley, New York, gleich hinter der Grenze zu Pennsylvania, liegt an der Route Richtung Osten. Es muß unbedingt New York sein, denn ich habe die Zulassung für New York. Bring die Kleine dorthin. Ich rufe meine Cousine inzwischen an und avisiere euer Kommen. Sie ist schon etwas älter, war in ihrer Jugend politisch überaus aktiv. Sie heißt Janet Patterson. Die Stadt liegt…«
»Was macht dich so sicher, daß sie sich da hineinziehen läßt? Sie könnte dafür ins Gefängnis kommen. Und du auch.«
»Sie war schon so oft im Gefängnis, du würdest es nicht glauben. Marschierte wohl bei jeder Demonstration mit seit dem Vietnamkrieg. Aber es wird niemand ins Gefängnis gehen. Ich bin ab sofort dein bevollmächtigter Rechtsanwalt und habe daher das Recht, über alle Gespräche mit dir zu schweigen. Ich werde Stella unter staatliche Vormundschaft stellen lassen. Mit der Krankengeschichte, die in der Klinik in Skokie aufliegt, wird das wohl nicht allzu schwierig sein. Dann kann man sie zu einer Pflegefamilie in New York geben. Ich denke da an jemand ganz bestimmten, vertrauenswürdige, freundliche Leute. Was Alice angeht…«
»Stellas dauernder Wohnsitz ist in Illinois! Du kannst nicht…«
»O doch, ich kann. Seit diese wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Lebenserwartung der Schlaflosen publik geworden sind, werden laufend dumme Gesetze durchgepeitscht, die von völlig kopflosen, mißgünstigen oder einfach bloß wütenden Antragstellern eingebracht werden. Das Resultat ist ein Konvolut sogenannter Gesetze, die nur so starren vor Widersprüchen, Absurditäten und Schlupflöchern. Keinem davon wird eine lange Existenz beschieden sein – zumindest hoffe ich das –, aber in der Zwischenzeit kann man sich das ja zunutze machen. Ich kann es zum Beispiel dazu nutzen, um aus Stella den gottverdammt kompliziertesten, umfangreichsten Rechtsfall der Geschichte zu konstruieren. Und solange der Fall nicht ausjudiziert ist, muß Stella nicht zu ihren Eltern zurück. Aber bei Alice liegt das anders. Sie braucht einen Anwalt, der in Illinois zugelassen ist.«
»Den haben wir«, warf Leisha ein. »Candace Holt.«
»Nein, keine Schlaflose. Verlaß dich auf mich, Leisha, ich finde einen guten Anwalt. Da ist dieser tüchtige Kerl in… Weinst du?«
»Nein«, schluchzte Leisha.
»Herrgott, diese verdammten Schweine«, knirschte Stewart. »Tut mir leid für dich, Leisha, daß das alles passieren mußte.«
»Das braucht es nicht«, sagte sie.
Nachdem Stewart ihr den Weg zu seiner Cousine beschrieben hatte, ging Leisha zum Laster zurück. Alice schlief immer noch, Stella war immer noch bewußtlos. Leisha schloß die Tür des Fahrerhauses so leise wie möglich; der Motor hustete und dröhnte, aber Alice wachte nicht auf.
Eine ganze Menge Leute fuhr in dem engen Fahrerhaus zusammen mit ihnen durch die Nacht: Stewart Sutter, Tony Indivino, Susan Melling, Kenzo Yagai, Roger Camden.
Zu Stewart Sutter sagte sie: Du hast mich angerufen, um mir über die Situation bei Morehouse, Kennedy zu berichten. Wegen Stella gefährdest du deine Karriere und deine Cousine. Und du hast gar nichts davon. Genau wie Susan, die mir die Sache mit Bernie Kuhns Gehirn gesagt hat, bevor alle anderen davon erfuhren. Susan, die ihr Leben fast Papas Traum geopfert hätte und es durch eigene Kraft wieder in den Griff bekommen hatte. Ein Vertrag ohne entsprechende Gegenleistungen beider Parteien ist kein Vertrag. Jeder Student im ersten Semester weiß das.
Zu Kenzo Yagai sagte sie: Die Gegenleistungen müssen nicht immer Zug um Zug erfolgen. Das ist Ihnen entgangen. Wenn Stewart mir etwas gibt, und ich gebe
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