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Bettler 01 - Bettler in Spanien

Titel: Bettler 01 - Bettler in Spanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Klöppelkissen erstanden habe. Der Stolz, das wußte Jordan jetzt, war genauso wichtig wie die Toilette. Er wußte es deshalb, weil Calvin Hawke es ihm erklärt hatte.
    Jordan konzentrierte seine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße. Mayleen sagte: »Wartest du auf wen?«
    Langsam drehte Jordan sich um. »Hat Hawke nicht Bescheid gegeben?«
    »Was für’n Bescheid? Mir hat er nichts gesagt.«
    »Herr im Himmel!« sagte Jordan. Das Terminal im Wachhäuschen schrillte, und Mayleen zog den Kopf ein und trat vom Fenster weg. Jordan verfolgte das Gespräch durch das Plastiglas. Während sie zuhörte, verhärtete sich ihr Gesicht auf eine Art und Weise, wie es nur diese Gesichter in Mississippi zuwegebrachten; es wirkte wie plötzliches Eis in der drückenden Hitze. Nie hatte er etwas ähnliches in Kalifornien gesehen.
    Offenbar informierte Hawke sie nicht nur, daß ein Besucher Zutritt erhalten sollte, sondern auch, wer der Besucher war.
    »Jawohl, Sir«, las Jordan von den Bewegungen ihrer Lippen ab. Er verzog das Gesicht. Niemand in der ganzen Fabrik sagte ›Sir‹ zu Hawke, es sei denn, er war wütend. Aber nie wurde jemand wütend auf Hawke. Man verdrängte es. Immer.
    Mayleen trat aus der Tür. »Ist das auf deinem Mist gewachsen, Jordan?«
    »Allerdings.«
    »Wozu?« stieß sie hervor, und Jordan spürte endlich, endlich – Hawke fand, es dauerte immer viel zu lange, bis Jordan in Rage geriet –, wie sein eigenes Gesicht sich verhärtete.
    »Ist das denn dein Kaffee, Mayleen?«
    »Alles, was in dieser Fabrik vor sich geht, ist mein Kaffee!« sagte Mayleen, was nur der Realität entsprach. Hawke hatte es zu einer Realität gemacht, für alle 800 Arbeitnehmer. »Die Sorte hat hier nichts zu suchen.«
    »Hawke denkt offenbar anders.«
    »Ich habe dich gefragt, wozu.«
    »Warum fragst du nicht ihn, wozu?«
    »Ich frage nun mal dich, verdammt!«
    Eine Staubwolke näherte sich auf der Zufahrt. Ein Straßenfahrzeug. Jordan erschrak: hatte ihr irgend jemand gesagt, auf keinen Fall mit einem Samsung-Chrysler zu kommen? Normalerweise konnte man sich darauf verlassen, daß sie so etwas einfach wußte. Sie wußte es immer.
    »Ich hab dir eine Frage gestellt, Jordan!« fauchte Mayleen. »Was fällt Mister Hawke ein, eine von denen in unsere Fabrik zu lassen?«
    »Du hast mir keine Frage gestellt, du hast mich angeschnauzt!« Er fühlte sich jetzt wohl in seiner Wut, denn sie schwemmte seine Nervosität weg. »Aber ich werde dir trotzdem eine Antwort geben, Mayleen. Weil du’s bist. Leisha Camden kommt her, weil sie darum gebeten hat und weil Hawke es bewilligte.«
    »Das ist mir klar. Nicht klar ist mir, wozu!«
    Der Wagen blieb am Tor stehen. Er war schwer gepanzert und vollbesetzt mit Leibwächtern. Der Fahrer stieg aus, um die Türen zu öffnen. Es war kein Samsung-Chrysler.
    »Wozu!« wiederholte Mayleen mit solchem Haß in der Stimme, daß selbst Jordan überrascht war. Er drehte sich um. Ihr schmallippiger Mund war verzerrt, doch in ihren Augen stand eine Furcht, die Jordan zu deuten wußte – Hawke hatte sie ihn zu deuten gelehrt –, eine Furcht, nicht vor Menschen aus Fleisch und Blut, sondern vor den entwürdigenden Entscheidungen, die indirekt auf diese Menschen zurückzuführen waren: zwei Dollar für ein halbes Päckchen Zigaretten oder zwei Dollar für ein Paar warme Socken? Zusätzliche Milch für die Kinder, die über die Wohlfahrtszuteilung hinausging, oder ein Haarschnitt? Es war nicht Furcht vor dem Verhungern, nicht in einem Land, dessen Wohlstand auf billiger Energie basierte, sondern die Furcht, von diesem Wohlstand ausgeschlossen zu sein. Zweitklassig zu sein. Nicht gut genug für dieses grundlegende Kennzeichen menschlicher Würde: Arbeit. Ein Parasit.
    Die Wut war verraucht, was Jordan betrübte. Wut war solch ein bequemer Ausweg.
    So zartfühlend, wie er konnte, sagte er zu Mayleen: »Leisha Camden kommt hierher, weil sie die Schwester meiner Mutter ist. Sie ist meine Tante.«
    Er fragte sich, wie lange es diesmal dauern würde, bis Hawke ihn rettete.
     
    »Und jeder Motorroller durchläuft sechzehn Arbeitsgänge auf dem Fließband?« fragte Leisha.
    »Ja«, sagte Jordan und nickte. Sie standen in einer Gruppe zusammen mit Leishas Leibwächtern, alle mit Schutzhelmen und -brillen und verfolgten die Vorgänge auf Station 8-E. Drei Arbeiter, die in ihrem Eifer die Besucher völlig ignorierten, machten sich an zwei Dutzend Rollern zugleich zu schaffen. Der Eifer war bemerkenswerter als das

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