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Bettler 01 - Bettler in Spanien

Titel: Bettler 01 - Bettler in Spanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Ergebnis. Aber das würde Leisha natürlich schon erkannt haben.
    Sechs Monate zuvor in Kalifornien, bei der Geburtstagsparty seiner kleinen Schwester, hatte Leisha Jordan so eingehend über die Fabrik ausgefragt, daß er es gespürt hatte wie kaltes Wasser an seinen Knochen: früher oder später würde sie fragen, ob sie den Betrieb besichtigen dürfe. Was Jordan nicht erwartet hatte, war Hawkes Einverständnis.
    Jetzt sagte sie: »Ich dachte, Mister Hawke würde uns begleiten. Schließlich bin ich ja seinetwegen gekommen.«
    »Er erwartet dich nach der Besichtigungstour in seinem Büro.«
    Unter der schweren Schutzbrille verzog sich Leishas Mund zu einem Lächeln. »Verweist mich wohl in meine Schranken, wie?«
    »Das nehme ich an«, sagte Jordan bedrückt. Er haßte es, wenn Hawke, unberechenbar, wie er war, sich dazu herbeiließ, mit seiner Umgebung Katz und Maus zu spielen.
    Zu Jordans Überraschung legte Leisha eine Hand auf seinen Arm und sagte: »Mach dir keine Gedanken deshalb. Es ist ja nicht so, daß er dazu nicht berechtigt wäre.«
    Was sollte Jordan darauf sagen? Berechtigung war schließlich bei allem der strittige Punkt. Wer bekam was und wie und warum.
    Irgendwie betrachtete Jordan sich nicht als den Richtigen, um einen Kommentar dazu abzugeben. Er war ja nicht einmal sicher, wer innerhalb seiner eigenen Familie wozu berechtigt war und weshalb.
    Seine Mutter und seine Tante hatten ein so ungewöhnliches Verhältnis zueinander. Oder vielleicht war »angespannt« das passendere Wort. Und doch stimmte es nicht ganz. Leisha besuchte die Familie Watrous in Kalifornien zwar nur zu besonderen Anlässen, und Alice besuchte Leisha in Chicago nie. Dennoch ließ Alice, eine begeisterte Hobbygärtnerin, tagtäglich auf dem Luftweg einen frischen Blumenstrauß aus ihrem Garten direkt an Leishas Wohnungstür bringen. Die Kosten dafür, vermutete Jordan, waren exorbitant. Und dabei handelte es sich um ganz normale, robuste Gartenblumen: um Phlox und Sonnenblumen, um gelbe Taglilien und Ringelblumen, die Leisha auf den Straßen von Chicago um ein paar Dollar hätte kaufen können. »Aber mag Tante Leisha nicht lieber diese exotischen Zimmerpflanzen?« hatte Jordan einmal gefragt. »Allerdings«, hatte seine Mutter lächelnd geantwortet.
    Immer brachte Leisha Jordan und seiner Schwester Moira wunderbare Geschenke mit: einen elektronischen Baukasten, ein Teleskop, zwei Aktienzertifikate, deren Kursschwankungen man über das Internet verfolgen konnte. Alice schien sich über die Geschenke stets ebenso zu freuen wie die Kinder. Doch wenn Leisha Jordan und Moira zeigte, wie man damit umgehen mußte – wie man das Teleskop justierte, wie man japanische Kalligraphie auf Reispapier malte –, verließ Alice immer den Raum. Und nach ein paar Jahren wünschte Jordan sich immer, Leisha würde ihn und Moira in Ruhe lassen, damit sie die Gebrauchsanweisungen allein und ungestört lesen konnten, denn Leisha erklärte zu rasch, zu unverständlich und zu ausführlich und war aufgebracht, wenn Jordan und Moira sich nicht alles beim ersten Mal merkten. Daß Tante Leisha dabei einzig und allein gegen sich selbst aufgebracht schien, war auch kein Trost, denn da bekam Jordan immer das Gefühl, furchtbar dumm zu sein. »Leisha hat ihre eigene Art, und wir haben die unsere«, war alles, was Alice dann dazu sagte.
    Ganz besonders merkwürdig war Alices Zwillingsgruppe. Als sie zum erstenmal von der Studiengruppe für Zwillingsphänomene hörte, hatte Leisha entgeistert dreingesehen, dann traurig und dann ärgerlich. Dreimal die Woche arbeitete Alice auf freiwilliger Basis für die Gruppe, wo man Datenbanken über Zwillinge anlegte, die über weite Entfernungen miteinander in Gedankenverbindung treten konnten, die wußten, woran der andere gerade dachte, die Kummer litten, wenn der andere in Schwierigkeiten war. Und man studierte auch Zwillinge im Vorschulalter, um zu sehen, wie sie lernten, sich zu verschiedenen Persönlichkeiten zu entwickeln. Dieser Mischmasch von ESP, Parapsychologie und wissenschaftlichen Methoden befremdete Jordan, der damals gerade siebzehn war. »Tante Leisha sagt, die meisten deiner ESP-Beobachtungen kann man mit der statistischen Wahrscheinlichkeit erklären. Und ich dachte die ganze Zeit, ihr beide seid gar keine eineiigen Zwillinge!«
    »Sind wir auch nicht«, entgegnete Alice.
    Seit zwei Jahren sah Jordan seine Tante ziemlich oft, ohne jedoch seiner Mutter davon zu erzählen. Leisha war eine Schlaflose und

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