Bettler 01 - Bettler in Spanien
Gratisdienste der besten Schlaflosenanwälte des Landes verfügte, waren die veralteten Gebäude geräumt und zu den äußeren Hüllen von Sanctuarys HighTech-Stadt geworden. Es gab ein Forschungskrankenhaus, ein College, eine Effektenbörse, Energie- und Wartungszentren und die modernsten Telekommunikationseinrichtungen der Welt – und das alles umgeben von Waldungen, die nach ökologischen Gesichtspunkten bewirtschaftet wurden.
In der Ferne, außerhalb von Sanctuarys Pforten, konnte Jennifer die tägliche Lasterkolonne sehen, die die Bergstraße hochkeuchte und Nahrungsmittel, Baumaterial und einfachere technische Produkte brachte – kurzum, das, was Sanctuary lieber importierte als selbst produzierte: alles, was keine Herausforderung darstellte, keinen Gewinn brachte und nicht zu den wesentlichen Dingen des Lebens gehörte. Nicht, daß Sanctuary auf die täglichen Lasterkolonnen angewiesen war; es hatte genügend Vorräte, um, wenn nötig, auch ein Jahr lang autark zu existieren. Doch das würde nicht nötig sein. Die Schlaflosen kontrollierten zu viele Fabriken, Zwischenhandelskanäle, landwirtschaftliche Versuchsprojekte, Warenbörsen und Anwaltsbüros draußen. Sanctuary war nie als Schlupfwinkel zum Zweck reinen Überlebens projektiert worden; es war ein befestigtes Kommandozentrum.
Der Straßenwagen vom Flugplatz parkte bereits vor dem Haus, das Jennifer mit ihrem Ehemann und den zwei Kindern am Rand von Argus City bewohnte. Das Gebäude hatte die Form einer geodätischen Kuppel, elegant und praktisch, aber nicht luxuriös. Baut die Sicherheitseinrichtungen zuerst, hatte Tony Indivino vor zweiundzwanzig Jahren verlangt; dann baut die technischen Einrichtungen und die Bildungszentren, dann die Lagerhäuser und erst zuletzt die individuellen Wohnstätten. Und so kam es, daß Sanctuary erst jetzt daranging, neue Einzelbehausungen zu schaffen.
Jennifer ordnete die Falten ihrer Abajeh, holte tief Atem und trat ins Haus.
Leisha stand vor der südseitigen Glaswand des Wohnzimmers und starrte auf das goldgerahmte Holoporträt von Tony, der aus lächelnden, jugendlichen Augen zurückstarrte. Sonnenstrahlen verfingen sich in Leishas blondem Haar und sprühten Glanzlichter darauf. Als sie Jennifer eintreten hörte und sich umdrehte, stand sie mit dem Rücken zu den hellen Fenstern, und Jennifer konnte ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen.
Die beiden Frauen starrten einander an.
»Jennifer.«
»Hallo, Leisha.«
»Du siehst gut aus.«
»Du auch.«
»Und Richard? Wie geht es ihm und den Kindern?«
»Ausgezeichnet«, sagte Jennifer.
Es folgte ein Schweigen, das prickelte wie heiße Luft.
Dann sagte Leisha: »Ich nehme an, du weißt, weshalb ich hier bin.«
»Nun, eigentlich nicht«, antwortete Jennifer – aber selbstverständlich wußte sie es. Sanctuary überwachte das Treiben aller Schlaflosen, die draußen blieben, doch keinen mehr als Leisha Camden und Kevin Baker.
Leisha stieß einen kurzen, ungeduldigen Laut aus. »Mach mir nichts vor, Jennifer. Wenn wir uns schon sonst nie einig werden können, sollten wir uns wenigstens darauf einigen, ehrlich zueinander, zu sein.«
Sie ändert sich nie, dachte Jennifer. All diese Intelligenz, all dieses Wissen, und doch ändert sie sich nie. Der Triumph von naivem Idealismus über Intelligenz und Wissen.
Die willentlich Blinden verdienten es nicht zu sehen.
»Nun gut, Leisha. Wir wollen ehrlich sein. Du bist hier, um herauszufinden, ob der gestrige Angriff auf die Wir schlafen! -Textilfabrik in Atlanta von Sanctuary seinen Ausgang nahm.«
Leisha starrte sie eine Sekunde lang an, ehe sie explodierte. »Lieber Himmel, Jennifer, natürlich nicht! Glaubst du, mir ist nicht klar, daß das keine Vorgangsweise für euch wäre? Ganz besonders nicht gegen einen Low-Tech-Betrieb, der weniger als eine halbe Million brutto jährlich macht?«
Jennifer unterdrückte ein Lächeln; die Verschränkung der beiden Einwände, des moralischen und des wirtschaftlichen, waren Leisha in Reinkultur. Aber selbstverständlich hatte Sanctuary mit dem Angriff wirklich nichts zu tun. Die Wir schlafen! -Vereinigung war absolut bedeutungslos. »Ich bin erleichtert, daß sich anscheinend deine Meinung über uns gebessert hat«, sagte sie.
Leisha machte eine Handbewegung und berührte damit ungewollt Tonys Holo; das Porträt drehte den Kopf in ihre Richtung. »Meine Meinung ist irrelevant, wie du bereits sattsam zu verstehen gegeben hast. Ich bin hier, weil Kevin mir das hier gab.« Sie zog
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