Bettler 01 - Bettler in Spanien
einen Computerausdruck aus ihrer Jackentasche und hielt ihn Jennifer unter die Nase, die erschrocken und schockiert erkannte, worum es sich handelte.
Sie hatte bereits jegliches Mienenspiel aus ihrem Gesicht verbannt, als ihr zu spät einfiel, daß Gleichgültigkeit Leisha ebensoviel verraten würde wie Emotion. Wie waren Leisha und Kevin an diesen Ausdruck herangekommen? Jennifers Gedanken rasten über alle Möglichkeiten hinweg, aber sie war keine Datanet-Expertin. Sie würde Will Rinaldi und Cassie Blumenthal augenblicklich von ihren gegenwärtigen Projekten abziehen müssen, um sie auf die Suche nach undichten Stellen im ganzen Netz zu schicken…
»Gib dir keine Mühe«, sagte Leisha. »Kevins Computergenies haben es sich nicht vom Sanctuary -Netz heruntergeholt. Es ist mir persönlich von einem von euch zugesandt worden – auf direktem Wege.«
Noch schlimmer. Jemand innerhalb von Sanctuary, jemand, der sich heimlich an die Seite der Schläfer-Sympathisanten gestellt hatte, jemand, der nicht zu der Erkenntnis fähig war, daß es sich hier um einen Überlebenskrieg handelte…!
Es sei denn, Leisha log. Doch Jennifer hatte Leisha noch nie bei einer Lüge ertappt. Es gehörte zu Leishas pathetischer, gefährlicher Naivität, die reine, unverfälschte Wahrheit zu bevorzugen.
Leisha zerknüllte das Papier in ihrer Hand und schleuderte es quer durch das ganze Zimmer. »Wie konntest du das nur tun, Jennifer, uns auf diese Art und Weise noch weiter zu entzweien? Heimlich einen gesonderten Schlaflosen-Rat zu bilden, dessen Mitgliedschaft auf jene beschränkt ist, die diesen sogenannten Solidaritätseid ablegen? ›Ich gelobe, die Interessen von Sanctuary über jede andere persönliche, politische und wirtschaftliche Loyalität zu stellen und mein Leben, mein Vermögen und meine heilige Ehre dem Überleben Sanctuarys, und damit meinem eigenen, zu widmen.‹ Gütiger Gott, was für eine unheilige Allianz von religiösem Fanatismus und der Unabhängigkeitserklärung! Aber du hattest noch nie ein Ohr für die feineren Töne.«
Jennifer starrte sie ausdruckslos an. »Wie dumm du bist.« Es war das schlimmste Schimpfwort, das ihnen zur Verfügung stand, für beide. »Du und Kevin und eure Handvoll weichlicher Friedenstauben, ihr könnt nicht begreifen, daß dies ein Krieg ist, bei dem es ums Überleben geht! Ein Krieg verlangt nach klar gezogenen Linien, im besonderen bei strategischen Informationen. Wir können es uns nicht leisten, der fünften Kolonne das Wahlrecht zu gewähren.«
Leisha kniff die Augen zusammen. »Das ist kein Krieg! Ein Krieg besteht aus Angriff und Verteidigung. Wenn wir von Gegenangriffen absehen, wenn wir nichts als produktiv arbeitende, gesetzestreue Bürger bleiben, werden wir schließlich Anerkennung durch unsere schiere wirtschaftliche Stärke erreichen, wie jede neue Gruppierung. Aber nicht, wenn wir uns in Fraktionen zersplittern! Das hast du doch immer schon gewußt, Jenny!«
»Nenn mich nicht so!« stieß Jennifer hervor; im letzten Moment unterließ sie es, einen Blick auf Tonys Bild zu werfen.
Leisha entschuldigte sich nicht.
Mit ruhigerer Stimme fuhr Jennifer fort: »Aber zu Anerkennung führt nicht wirtschaftliche Stärke allein. Dazu benötigt man auch politische Macht, die wir nicht haben und in einer Demokratie nie haben werden. Wir sind nicht zahlreich genug, um einen signifikanten Stimmenblock zu bilden. Das hast du auch immer schon gewußt!«
»Ihr habt doch bereits die stärkste geheime Lobby in Washington auf die Füße gestellt. Ihr kauft die Stimmen, die ihr braucht. Politische Macht fließt dorthin zurück, woher das Geld stammt. Das war immer schon so; die Konzeption einer menschlichen Gesellschaft ist eine des Geldes. Wenn wir Werte fördern oder verändern wollen, müssen wir uns an die Rahmenbedingungen halten, die das Geld vorgibt. Und das tun wir auch. Aber wie können wir auch nur eine einzige Geschäftsbeziehung zwischen Schläfern und Schlaflosen fördern, wenn du uns in streitende Parteien aufsplitterst?«
»Wir wären nicht zersplittert, wenn du und die Leute auf deiner Seite erkennen könnten, wann es Krieg gibt und wann nicht!«
»Immerhin kann ich erkennen, wann es Haß gibt. Er steckt in eurem dummen Schwur!«
Sie waren an einem toten Punkt angelangt; immer wieder derselbe tote Punkt. Jennifer ging durch das Zimmer zur Hausbar. Ihr schwarzes Haar wogte hinter ihr her. »Möchtest du einen Drink, Leisha?«
»Jennifer…«, begann Leisha, brach aber
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