Bettler 02 - Bettler und Sucher
fegte sich das wilde schwarze Haar aus dem Gesicht. Ich wich ihren Augen aus. Sie griff hinab und begann mich sanft zu massieren.
Das war erst ein paarmal passiert, und erst in letzter Zeit. Miri massierte fester.
»Drew…«
»Laß mir eine Minute Zeit, Liebes.«
Sie lächelte unsicher. Ich versuchte, mich zu konzentrieren; ich versuchte, mich nicht zu konzentrieren.
»Drew…«
»Schsch… eine Minute nur.«
In meinem Kopf fletschten die grauen Formen des Versagens die Zähne.
Ich schloß die Augen, zog Miri enger an mich und dachte an Leisha. Leisha in der Abenddämmerung in New Mexico, ein mattgoldener Schatten gegen den Sonnenuntergang. Leisha, die mich in den Schlaf sang, als ich zehn Jahre alt war. Leisha, die schlank und schnell über den Wüstenboden lief, im Bau einer Känguruhratte hängenblieb und sich den Knöchel verstauchte. Ich hatte sie zum Anwesen zurückgebracht; ihr Körper lag leicht und süß in meinen achtzehn Jahre alten Armen. Leisha beim Begräbnis ihrer Schwester; die Tränen hatten alles Licht aus ihren Augen gewaschen, hatten sie schutzlos der Trauer preisgegeben. Leisha nackt, wie ich sie nie gesehen hatte…
»Ah, ahhhhh«, sang Miri triumphierend.
Ich rollte uns beide herum, so daß ich oben zu liegen kam. Miri hatte es lieber so. Ich stieß hart zu und immer härter. Sie mochte es richtig wild. Schließlich spürte ich, wie sie unter mir erschauerte, und ließ mich fallen.
Hinterher schloß ich die Augen und blieb still liegen. Miri drückte sich an mich, den Kopf auf meiner Schulter. Einen kurzen, schmerzhaften Moment lang dachte ich daran, wie wir uns vor zehn Jahren geliebt hatten, am Anfang, als schon die Berührung ihrer Hand mich zum Beben und Glühen gebracht hatte. Ich bemühte mich, nicht daran zu denken, keine Formen zu fühlen.
Aber eine Leere im Kopf herzustellen ist einfach nicht möglich. Plötzlich fiel mir ein, welche Erinnerung es war, die ich vorhin nicht zu fassen bekommen hatte: Jason Reynolds, Kevin Bakers Urenkel, war letztes Jahr beinahe ertrunken. Er war mit dem Gleitboot hinaus in den Golf gefahren und mitten im Hurrikan Julio gelandet. Huevos Verdes konnte ihn nur deshalb finden, weil Terry Mwakambe irgendwelche geheimnisvollen Peilgeräte entwickelt hatte, und Jason war dem Tod entgangen, weil man sich einer Methode bedient hatte, die die Schlaflosen zuvor noch nicht einmal getestet hatten.
Als er wieder aufwachte, gab Jason zu, daß er von dem herannahenden Hurrikan gewußt hatte. Er wollte nicht Selbstmord begehen, erklärte er ernsthaft, und alle glaubten ihm. Schlaflose begingen nicht Selbstmord; sie waren zu verliebt in den eigenen Verstand, um ihn auszulöschen. Während alle über seinem Bett hingen, seine Eltern und Kevin und Miri und Christy und Terry, hatte Jason mit zaghafter Stimme erklärt, er hätte nicht gewußt, daß das Meer so schnell so unruhig werden konnte. Er wollte nur, daß das Boot richtig ins Schaukeln kam. Er wollte nur den bedrohlich schwarzen Himmel sehen und spüren, wie der Regen auf ihn herabpeitschte. Er, der Schlaflose, hatte den Wunsch verspürt, sich verwundbar zu fühlen.
Miranda flüsterte: »Niemand schenkt mir solche Gefühle wie du, Drew. Niemand.«
Ich hielt die Augen geschlossen und tat so, als wäre ich eingeschlafen.
Später am Nachmittag gingen wir in die Labors. Sara Cerelli und Jonathan Markowitz waren dort, in Shorts und barfuß. Eine der Voraussetzungen des Projekts war, daß in keinem Stadium irgend etwas steril sein mußte.
»Hallo, Drew!« sagte Jon. Sara nickte nur. Ihre Konzentration auf die Arbeit bildete geschlossene, matte Formen in meinem Kopf.
Ein Klumpen lebendes Gewebe lag in einer flachen, offenen Schüssel auf einem Labortisch; dünne Röhren und noch viel dünnere Kabel verbanden es mit zahlreichen Geräten. Dutzende Sichtschirme drängten sich ringförmig aneinander und umschlossen den ganzen Raum. Nichts, was darauf zu sehen war, sagte mir etwas. Das Gewebe in der Schale war bräunlich fleischfarben und hatte keine bestimmte Form. Es sah aus, als könnte es seine Gestalt verändern, zerrinnen und zu etwas anderem werden. Bei meinem letzten Besuch hatte Miri erklärt, daß es dazu nicht imstande war. Die Schlaflosen sind nicht zimperlich, und ich bin es auch nicht, aber die Formen, die mir durch den Kopf zogen, wenn ich das Ding ansah, waren bleich und fleckig und rochen nach Feuchtigkeit; doch ihre Ränder waren glatt und präzise gezogen wie die von Nanomaschinen
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