Bettler 02 - Bettler und Sucher
Ausgewogenheit.
Sie war tot. Sie war wirklich tot.
»Und deshalb, Sir«, fuhr Hubbley fort, »ist es so verteufelt wichtig, daß wir uns dieses großartige Land von den Macher-Herrschaften zurückholen, die uns versklaven. Wenn nicht anders, dann mit Hilfe von Nadelstichen. Jawohl, mit Hilfe von Nadelstichen!« Er machte sich mit sichtlichem Appetit über seinen Eintopf her.
»Sogar vorzugsweise durch Nadelstiche«, sagte ich. »Dieser Krieg würde Ihnen nicht halb so gut gefallen, wenn Sie ihn oben ausfechten müßten, bei den Gerichtshöfen!«
Ich hatte es darauf angelegt, ihn wütend zu machen, aber statt dessen legte er seinen Löffel hin und kniff nachdenklich die Augen zusammen.
»Ja, ich denke, da haben Sie wohl recht, Mister Arlen. Ich denke, da haben Sie recht. Wir haben alle von unserem Herrgott unser eigenes Temperament mitbekommen, und meines ist für Nadelstiche ausgelegt. Genau wie das von General Marion. Also das ist nun wahrhaftig eine interessante Sichtweise.« Er wandte sich wieder seinem Eintopf zu.
Ich kostete von meinem. Standard-Sojabasis wie bei allen Nutzern, aber mit Stücken von echtem Fleisch darin – wildartig und ein bißchen zäh. Eichhörnchen? Kaninchen? Jahrzehnte, seit ich zum letztenmal gezwungen gewesen war, solches Getier zu essen.
»Nicht, daß die Verfassung nicht ihre Grenzen hat«, fuhr Hubbley fort. »Nehmen Sie mal Abigail und Joncey. Die beiden wissen genau, wo diese Grenzen verlaufen müssen. Sie manipulieren Genkombinationen auf die einzig rechte Weise: durch menschliche Zeugung.« Er dehnte die beiden letzten Worte, ließ jede Silbe auf der Zunge zergehen. »Etwas von Jonceys Genen, etwas von Abbys, und die Mischung liegt in Gottes Hand. Die beiden respektieren die klare Linie in der Verfassung, die das trennt, was der Mensch manipulieren darf und was allein Gottes ist.«
Ich mußte soviel wie möglich über ihn erfahren, egal, wie hirnverbrannt es sich auch anhörte, weil ich noch nicht wußte, was davon ich benötigen würde, um ihn umzubringen. »Und wo in der Verfassung wird diese Linie gezogen?«
»Junge, bringen sie euch denn überhaupt nichts bei in diesen hochgestochenen Schulen? Das sollte nicht durchgehen, nein, das sollte einfach nicht durchgehen! Also, es steht gleich in der Präambel zur Verfassung drinnen, glasklar steht da geschrieben, daß ›wir, das Volk‹, das alles niederschreiben, ›um eine vollkommenere Einheit zu bilden, Gerechtigkeit walten zu lassen, den inneren Frieden zu sichern, für die allgemeine Verteidigung zu sorgen‹, und etcetera. Wo ist die vollkommene Einheit, wenn man die Macher über das menschliche Erbgut entscheiden läßt? Damit treibt man den Keil nur tiefer zwischen die Leute. Wo bleibt die Gerechtigkeit, wenn Jonceys und Abbys Kleines im Leben nicht die gleiche Ausgangsbasis hat wie ein Macher-Kind? Wie soll das den inneren Frieden bewirken? Verdammt, es bewirkt Neid und Unmut, das bewirkt es! Und was in Dreiteufelsnamen, ist die allgemeine Verteidigung anderes als die Verteidigung der gemeinen Leute, der Nutzer, damit ihre Kinder ebensoviel zählen wie ein GenMod-Baby? Abby und Joncey kämpfen für ihr eigen Fleisch und Blut, genau wie alle anderen Eltern auf Gottes weiter Welt. Und die Verfassung gibt ihnen das Recht dazu, und zwar gleich in ihrem ersten geheiligten Absatz!«
Ich hatte nie zuvor gehört, daß jemand den Ausdruck ›eigen Fleisch und Blut‹ gebrauchte. Er saß breitbeinig da vor mir, Jimmy Hubbley, löffelte seinen ekligen Eintopf und war ein ebenso unerschütterliches Kunstprodukt wie alle anderen Leute, die mir je begegnet waren.
Intellektuelle Diskussionen ermüden mich. Das haben sie immer schon getan. Ich spürte, wie diese gewisse Hilflosigkeit in mir aufkeimte, die ich von meinen Argumentationen mit Leisha, mit Miranda, mit Jonathan und mit Terry und Christy kannte. Die beste Entgegnung, die mir in meinem Haß und meiner Verwirrung einfiel, war: »Und was gibt Ihnen das Recht zu entscheiden, was für 175 Millionen Menschen gut ist?«
Wiederum sah er mich mit zusammengekniffenen Augen an. Seine nachsichtige Stimme kehrte zurück: »Nun, Junge, hatten nicht Ihre Huevos-Verdes-Leute vor, sich eben dieses Recht zu nehmen?«
Ich starrte ihn an.
»Aber gewiß! Bloß können die dort nicht für die gemeinen Leute entscheiden, weil sie eben keine sind. Ist doch klar! Die sind nicht wie wir. Nicht wie er.« Er deutete mit dem Löffel auf das Porträt von Francis Marion. Eintopf tröpfelte vom
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