Bettler 03 - Bettlers Ritt
Reaktionen im Zellinnern. Doch ganz besonders diese Erkenntnisse sind noch nicht als definitiv zu betrachten. Darüber hinaus kommt es zu einem signifikanten Absterben von Zellen in der Art, wie wir sie bei Traumata oder prolongierten Stress-Zuständen kennen. Das gesamte Nervennetz wurde neu verdrahtet.«
Ohne sich dessen gewahr zu werden, sprang Jackson auf und begann auf und ab zu laufen. »Welche Vergleichsdaten habt ihr in dieser Richtung erhalten?«
»Dazu komme ich gerade. Beide Objekte zeigten einen dauernd erhöhten Pulsschlag, selbst im Schlaf. Hohe Leitfähigkeit der Haut. Signifikante Stress-Symptome auf Zellniveau. Zerebrospinalflüssigkeit, Harn, Speichel, Blut – alle Resultate weisen auf einen Neurotransmitterzusammenbruch hin. Das Allgemeinbild zeigt eine niedrige limbisch-hypothalamische Erregungsschwelle, einen chronisch hohen Stress-Zustand und schwere Inhibitionen, die in den permanenten Veränderungen in den von den Amygdalae ausgehenden Pfaden wurzeln.«
»Allgemeinverständlich bitte«, sagte Vicki.
Es war Jackson, der ihr antwortete. »Das Neuropharm – worum immer es sich handelt – hat Shockey und Dirk die Biochemie von jemandem gegeben, der mit tiefgreifenden Inhibitionen geboren wurde: Angst gegenüber allem Neuen, Furcht vor einer Trennung von den vertrauten Personen und ein Widerstreben vor einer Veränderung von Routinevorgängen, weil das qualvolle Ängste hervorruft.«
Vicki sagte: »Sharons Baby… die kleine Callie…«
»Ja. Es ist ganz normal, daß Babies im Alter von sechs bis neun Monaten Angst vor unbekannten Personen und Neuem haben, aber dann verringert sich nach und nach die Furcht vor Fremden, sobald komplexere Gehirnfunktionen die primitiveren unterdrücken. Dies hingegen… das ist eine Regression zu den Inhibitionen eines ganz besonders verängstigten Kleinkindes! Für immer! Und zwar ohne eine Veränderung der DNA oder die Einwirkung von körperfremden chemischen Substanzen, welche der Zellreiniger beide neutralisieren würde. Eine natürliche starke Angst vor allem Neuen und Unbekannten.«
Wie Theresa, dachte Jackson, sprach es aber nicht aus. Ein ganzes Lager voller Theresas. Ein ganzes Land voller Theresas! Waren noch weitere Stämme infiziert?
»Aber wozu?« fragte Vicki.
Rogers sah sie angewidert an. »Die Rolle des Nervensystems ist es, ein bestimmtes Verhalten hervorzurufen. Offenbar experimentiert jemand mit dieser Art von Verhalten.«
»Das ist keine Antwort.«
»Ich habe keine andere«, sagte Rogers. »Was erwarten Sie in vier Tagen? Jedes Neuron im Gehirn kann bis zu hunderttausend Kontakte zu anderen Neuronen halten. Dazu kommen Rezeptoren in Organen außerhalb des Gehirns; es gibt immense individuelle Variationen im neuronalen Aufbau und in der Reaktion auf Pharmaka, es gibt…«
»Schon gut, schon gut«, unterbrach ihn Vicki. »Die grundlegende Frage ist, was können Sie unternehmen? Können Sie ein Neuropharm herstellen, das diese Effekte umkehrt?«
»Jackson«, sagte Rodgers, »sag deiner Freundin, daß es bei weitem einfacher ist, einen lebenden Organismus zu schädigen als den Schaden wieder gutzumachen. Sag ihr…«
»… daß Sie keine Schwierigkeit hatten, einen raschen Weg zu finden, um aus dem sogenannten Schaden Kapital zu schlagen«, warf Vicki ein. »Man studiert, wie die neuronale Architektur auf Dauer so abgeändert werden kann, daß sie den Zellreiniger umgeht, und dann legt man den Mechanismus auf gewinnträchtige Lustdrogen um. Ist das nicht genau das, was Sie Cazie Sanders sagten, hmmmm? Also müssen Sie zumindest die Möglichkeit sehen, irgendwo ein Schlupfloch in dieser angeblich unabänderlichen Biochemie zu finden.«
Jackson sagte: »Sie hat recht, Thurmond, und du weißt es. Kelvin-Castner sollte nach Wegen suchen, diesen Vorgängen entgegenzuwirken.«
»Das werden wir natürlich«, sagte Rogers. »Aber die Enklaven verfügen über Abwehrsysteme gegen Raketen mit Biochemikalien. Und einzelstehende Gebäude kann man mit einem geschlossenen Luftkreislauf ausrüsten. Und mit Gasmasken. Wir wollen die Arbeit an einem entsprechenden Gegenmittel nicht überhasten. Zum Wohle der Allgemeinheit.«
Das verschlug Jackson den Atem. Was Rogers sagen wollte, war also, daß den Machern, wenn sie Vorsicht walten ließen, von dem neuen Neuropharm keine Gefahr drohte. Nur den Nutzern. Und Nutzer, die furchtsam waren, die Angst hatten vor allem Neuen und vor einer Trennung vom Gewohnten – solche Nutzer wären eine sehr viel
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