Bettler 03 - Bettlers Ritt
dazu notwendigen Mitteln. Jennifer vertraute ihm.
»Ich habe ein bißchen mit Strukows Viren herumgespielt«, sagte Chad. »In der Simulation natürlich. Und ich bin auf etwas gestoßen.«
»Ja? Worauf? Und gibt es einen Grund, weshalb wir Ihre Simulationen jetzt nicht vor uns haben?«
»Ich habe sie gelöscht. Das hier sind die Ausdrucke. Obwohl ich natürlich die Simulationen jederzeit wiederholen kann, wenn Sie sie sehen wollen.«
Er schlug die Mappe mit den Papieren auf. Chad Mannings Eltern hatten ihm ein einigermaßen ungewöhnliches GenMod-Aussehen beschert: feinfühlig zarte, empfindsame Gesichtszüge in einem schmalen, schönen Gesicht, hohe, scharf gezeichnete Backenknochen, helle Haut und die langen, biegsamen Finger eines Violinvirtuosen. Die Finger zitterten, als er Jennifer die Papiere reichte.
»Die ersten Seiten sind biochemische Berechnungen und Modelle… ich kann sie nachher einzeln durchgehen, wenn Sie möchten. Aber jetzt sehen Sie sich bitte die letzte Seite an.«
Jennifer sah nach: zwei identische, vom Computer entworfene Zeichnungen von Proteinstrukturen. Darunter eine Wahrscheinlichkeitsrechnung. Die Variablen waren händisch eingesetzt.
»Der Unterschied ist ein sehr feiner«, sagte Chad, und Jennifer hörte die nervliche Anspannung aus seiner Stimme heraus. »Sehen Sie, hier, bei dem Segment ganz links. Der chromosomale Unterschied besteht nur in ein paar Aminosäuren.«
Erst jetzt bemerkte Jennifer, daß die beiden Zeichnungen nicht identisch waren. Doch nur eine kleine Stelle einer einzigen Seitenkette machte den ganzen Unterschied aus.
»Was dabei besonders auffällt, ist der Umstand, daß man einen völlig unwahrscheinlichen Simulationsweg gehen muß, um das zu entdecken«, sagte Chad. Seine Erregung wuchs. »Ich muß zugeben, auch ich bin eigentlich nur zufällig darüber gestolpert. Es handelt sich um keine gewöhnliche Mutation, und es findet an einem von Strukows Proteinen statt, an dem man es nicht erwarten würde… aber, Jennifer, sehen Sie sich die Gleichungen an!«
Die Proteinstrukturen sagten Jennifer wenig – sie war keine Mikrobiologin. Aber die Mathematik bestand in einer ganz normalen Wahrscheinlichkeitsberechnung. Die Wahrscheinlichkeit, daß die Mutation der Proteinstruktur spontan innerhalb eines Jahres erfolgte, war – unter Berücksichtigung von Chads Variablen für Vermehrung und Infektionsgeschwindigkeit – 38,72 Prozent.
Beherrscht sagte Jennifer: »Welchen Effekt würde diese Veränderung der Proteinstruktur auf das Virus haben?«
»Sie würde es auch außerhalb des menschlichen Körpers lebensfähig machen. Und damit übertragbar.«
»Mit anderen Worten, statt das Virus einatmen zu müssen, das dann zwar vom Zellreiniger zerstört wird, aber erst, nachdem es im Körper eine Kaskade von Reaktionen der natürlichen Aminosäuren auslöst…«
»Statt eingeatmet werden zu müssen, wäre das Virus von Mensch zu Mensch übertragbar. Es könnte auf der Haut, der Kleidung, im Haar, in Körperfalten überleben…«
»Wie lange?« fragte Jennifer.
»Keine Ahnung. Aber sicherlich ein paar Tage. Und in dieser Form kann es über Hautverletzungen oder Körperöffnungen eindringen… eine infizierte Person kann andere infizieren. Zumindest ein paar Tage lang. Mit den ursprünglichen Proteinen konnte das nicht passieren. Jedes Virus, das nicht augenblicklich eingeatmet wurde, ging ein paar Minuten später zugrunde. Und wenn es eingeatmet wurde, zerstörte es der Zellreiniger.«
Jennifer ließ nicht zu, daß ihr Gesichtsausdruck ihre Verständnislosigkeit verriet. »Aber, Chad – das ist doch genau das, worauf wir die ganze Zeit abgezielt haben, oder? Es ist jener zweite Übertragungsweg, den wir von Strukow haben wollten: übertragbar durch zwischenmenschliche Kontakte. Weshalb sehen Sie das als Problem?«
»Wenn das Virus auf natürlichem Weg mutiert, bevor Strukow soweit ist, es in seiner übertragbaren Form herzustellen, dann hat er es nicht mehr unter Kontrolle.«
Jennifer wartete. Sie begriff Chads Aufregung immer noch nicht recht, aber sie enthielt sich einer entsprechenden Bemerkung: nie preisgeben, wieviel du nicht verstehst, nicht einmal deinen Verbündeten gegenüber. Sie wartete ab.
»Zwei Probleme«, sagte Chad. »Nein, drei. Wenn das Virus mutiert, ehe wir bereit sind, dann können wir seine Ausbreitung nicht mehr unter Kontrolle halten. Der Zeitplan für den Einsatz der ferngesteuerten Kapseln war ja – wie Sie am besten wissen! –
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