Bettler 03 - Bettlers Ritt
sie für immer verbunden war: eine zweite ältere Frau und ein junges Mädchen, dessen grobe Gesichtszüge denen der zweiten Frau ähnelten. Eine der beiden trug eine Schüssel, die zweite eine Decke und eine Plastiktasse. Drei Meter vor der Bettlerin blieben sie stehen, schwer atmend und starr vor Angst.
»Bitte! Bitte! Ich kann mich nicht mehr rühren…!«
Die Angst kämpfte mit der Erinnerung. Die beiden alten Frauen, denen die Zeiten des Hungers und der Krankheiten vor der Umstellung noch gut in Erinnerung waren, wurden für ein paar kurze Momente zu den Menschen, die sie damals gewesen waren. Und sie kamen auf Theresa zu, auf die Fremde in Not.
»He, wieso biste nich’ umgestellt, du? Komm, iß das, nu mach schon… Sieh dir mal ihre Arme an, Paula, nix als Haut un’ Knochen, die…«
Plastikschüssel, Plastiklöffel. Ein Häufchen klebriges Essen, das aussah wie Haferbrei, aber nach wilden Nüssen schmeckte; der bittere Geschmack wurde nur unzureichend von viel zu süßem Ahornsirup überdeckt. Die Bettlerin verschlang alles.
»Die is’ ja völlig ausgehungert…! Paula, die hält sich ja kaum auf den Beinen, die können wir doch nich’ da draußen herumirren lassen…«
Um den Türstock herum wanden sich Josh, Mike und Patty, einander fest an den Händen haltend, ins Freie. Jomp. Langsam hob die Bettlerin ihren kahlen, narbigen Kopf. Sie erkannten sie nicht wieder. »Nich’ umgestellt, die? Du meine Güte…!«
»Fängt schon an zu regnen, müssen sie reinnehmen, die kann da nich’ draußen bleiben…«
Mike hob sie hoch. Die Bettlerin zuckte zusammen und stöhnte, als seine Arme an ihrer schmerzempfindlichen Haut rieben. Er trug sie ins Haus, und die anderen folgten ihm.
Ein dämmriger Raum, fremde Gesichter, die sie mit ängstlich aufgerissenen Augen anstarrten… Ihre Kehle begann sich zusammenzuschnüren und das Herz zu rasen. Aber sie war nicht Theresa. Sie war die Bettlerin. Die Bettlerin mit der speziellen Gabe. Diese Leute brauchten die Bettlerin, um gebraucht zu werden.
Das nicht umgestellte Kind – dasselbe Kind, das sie schon einmal, in einem anderen Leben, gesehen hatte – starrte sie hinter den Beinen seiner Mutter hervor an. Also war es immer noch am Leben. Und größer geworden. Die Bettlerin sah jetzt, daß es ein kleiner Junge war. Seine Nase triefte, und sein verkrüppelter linker Arm, der kürzer war als der rechte, hing kraftlos von der Schulter herab.
»Vielen Dank«, sagte sie zu dem Kreis von Gesichtern. Einige davon zuckten zurück, aber die restlichen nickten und lächelten. »Darf ich euch jetzt etwas schenken, weil ihr mir geholfen habt?«
Alle waren augenblicklich auf der Hut. Etwas Ungewohntes, etwas Neues. Die Bettlerin fragte sich in einem Winkel ihres Gehirns, das einer anderen Person gehörte, wie sich durch ihre Worte wohl die Hirnscans dieser Menschen änderten.
»Ihr könnt es ruhig annehmen«, fuhr sie fort. »Es ist nur ein Rob. Ihr habt doch Robs schon oft gesehen, nicht wahr?«
Die Tür des Gebäudes war offen geblieben, und gemäß seinen Instruktionen folgte der PflegeRob nach einer Weile der Bettlerin. Das nicht umgestellte Kind, das noch nicht viele Robs zu Gesicht bekommen hatte, begann zu weinen.
»Es ist ein AmbulanzRob«, erklärte die Bettlerin hilflos. Vielleicht, wenn sie sprach wie diese Leute… »Is’n MedRob, das. Gab’s überall, früher. Kann den Kleinen dort nich’ umstellen, aber er kann ihm ein Medikament für die Nase geben. Un’ seinen Arm in Ordnung bringen.« Und dann: »Ihr könnt das schaffen!«
»Was schaffen?« fragte Josh. Er war immer noch der Intelligenteste und der am wenigsten Ängstliche von allen. Die Bettlerin sprach direkt zu ihm.
»Was Neues zu machen, Josh. Ihr könnt es schaffen, wenn’s ‘ne gute Sache is’, und wenn ihr’s wirklich wollt. Kann’s euch beibringen, ich, wie man’s macht!«
Sie war zu hastig! Josh wurde blaß und machte einen Schritt rückwärts. Aber sie sah auch das kurze Aufglimmen von Interesse in seinen Augen, bevor es sich in Furcht auflöste. Er konnte es schaffen! Er konnte lernen, seine Hirnchemie zu verändern, indem er sich vorstellte, ein anderer Mensch zu sein! Vielleicht konnten das nicht alle diese Leute, aber gewiß einige von ihnen. Wie Josh. Und vielleicht würde das reichen…
Ein Mann rückte vom PflegeRob ab und zog seine beiden Partner mit. »Ne, ne, so was brauchen wir nich’. Nimm’s weg, du!«
Aber die Mutter des verkrüppelten Jungen blieb tapfer
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