Bettler 03 - Bettlers Ritt
schwarze Hund, der nach dir schnappt und dich nicht losläßt«, hatte es einst, in alter Zeit, jemand genannt. »Die dunklen Wälder, beinah’ so bitter wie der Tod.« Das war Dante – an den Namen erinnerte sie sich. »Die nagende Bestie im Hirn.« Wer das gesagt hatte, daran erinnerte sie sich nicht. Thomas, ihr persönliches System, hatte die Zitate in irgendeiner DeBe gefunden, und jetzt konnte Theresa sie nicht mehr vergessen. Hunde, Bestien, Wälder, Wolken – sie hatte so lange mit der Finsternis gelebt, daß sie keine Namen mehr dafür brauchte, und doch hatte sie sie. Genau wie die Angst.
Aber heute würde die ekelhafte Angst sie nicht zurückhalten. Theresa würde es nicht zulassen! Heute war der Tag!
»Nimm ein Neuropharm«, drängte Jackson sie immerzu. »Ich kann dir etwas verschreiben… Tessie, es ist eine Unausgewogenheit in der Biochemie des Gehirns. Nicht viel anders als Diabetes oder Anämie. Man muß eben die Chemie wieder ins Gleichgewicht bringen. Man repariert sie.« Und Theresa fand nie die richtigen Worte, um es ihm so zu erklären, daß er es verstand.
Weil Worte nicht wichtig waren. Taten waren wichtig. Sie hatte das erst kürzlich erkannt. Und als sie es erkannt hatte, war eine tiefe Scham über sie hinweggefegt. Wie hatte sie so selbstsüchtig sein und nur an ihre eigene gehätschelte schwache Seele denken können? Es war mehr als ein Jahr her, daß sie zum letzten Mal das Apartment verlassen hatte! Und die Enklave Manhattan-Ost hatte sie überhaupt noch nie verlassen. Noch nie in ihrem ganzen Leben. Kein Wunder, daß sie ›Klinisch depressiv‹ war, wie Jackson es nannte.
Heute. Jackson war sehr früh aufgebrochen, um zusammen mit Cazie irgendwo eine Fabrik zu inspizieren. Theresa hatte ihn weggehen gehört. Sie war immer unruhig, wenn er das Apartment verließ, aber sie bemühte sich sehr, ihn das nicht wissen zu lassen. Es wäre nicht fair gewesen. Jackson blieb ihretwegen ohnedies schon viel zu viel daheim. Kümmerte sich um sie, sorgte sich um sie… Ich kann dir etwas verschreiben … Er sorgte sich um sie, aber er begriff nicht. Er verstand nicht, was das, was er ›Unausgewogenheit in der Biochemie des Gehirns‹ nannte, wirklich war. Nur Theresa wußte es.
Es war eine Gabe. Die Art und Weise, wie ihre Seele ihr sagte, daß es besser wäre, sich zu ändern und auf das zu achten, was wahrhaftig von Bedeutung war.
Theresa schwang die Füße aus dem Bett und wartete darauf, daß der tägliche Angstzustand nachließ. Wenn sie es sich nicht versagt hätte, wäre sie den ganzen Tag im Bett geblieben. Sie fühlte sich so sicher und geborgen dort… So hingegen trat sie entschlossen in die Sonardusche, blieb dreißig Sekunden lang drinnen und trat wieder hinaus. In ihrem Schlafzimmer warf sie einen Blick auf ihr nacktes Bild in dem langen Spiegel an der Westwand und hielt inne.
Sie sah nicht einmal aus wie die anderen. Ihr Körper war wohl schön – aber alle Leute waren schön. Doch sie wirkte irgendwie… unwirklich. Helles Haar und helle Augen, blasses kleines Gesicht, blasse Haut – woran hatten ihre Eltern nur gedacht? An eine Fee? Einen Geist? An ein substanzloses Holo, das an den Rändern ausfranste? Kein Wunder, daß sie nirgendwo dazugehörte, daß sie keinen einzigen Menschen kannte, der verstand, worum es bei ihrem ewigen Kampf tatsächlich ging. Nicht einmal Jackson, obwohl er ein so liebevoller Bruder war.
Selbst Jackson meinte, daß bei Theresa von Anfang an etwas schiefgelaufen war. Daß sie während der In-vitro-Genmodifikation Schaden genommen hatte. Selbst Jackson erkannte nicht das Wesen der Gabe, die Theresa mitbekommen hatte. Denn es war eine Gabe, egal, was die anderen sagten. Das war der Schmerz immer.
Schmerz bedeutete, daß man etwas ändern mußte, daß man lernen mußte, die Welt anders zu betrachten. Pflanzentriebe etwa, so glaubte Theresa, mußten enorme Schmerzen verspüren, wenn sie da unten in der kalten, finsteren Erde die Schale des Samenkorns sprengten und anfingen, sich blind einem Licht entgegenzurecken, das sie nie zuvor gesehen hatten. Schmerz war es, das einen wachsen ließ. Niemand schien das zu begreifen. Sämtliche Leute, die Theresa kannte, taten alles in ihrer Macht Stehende, um einen Schmerz, den sie verspürten, so rasch wie möglich zu vertreiben: Medikamente. Drogen. Sex. Hektische Parties. Was, im Grunde genommen, alles auf das gleiche hinauslief: auf Ablenkung vom Schmerz. Wie kam es nur, daß niemand in diesem Jahrhundert
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