Bettler 03 - Bettlers Ritt
Ängsten, wenn viele Leute im Raum sind und alle so wirken, als würden sie bleiben für viele Stunden. Dann und nur dann die Furcht vor dem Alleingelassenwerden läßt nach. Angélique, ca va – aber dies hier Sie haben bereits gesehen, ist es nicht so? Sie haben sich schon entschieden dagegen.«
Eine amerikanische Nutzerstadt im Frühherbst: überall Bäume in leuchtendem Flammendrot. Drei zerlumpte Gestalten standen dicht beieinander auf einer Straße mit Nano-Belag. Aus ihren verzerrten Gesichtszügen und den fuchtelnden Handbewegungen zu schließen, hatten die drei gerade einen wilden Streit. Ein Mann stieß den anderen vor die Brust, worauf die Frau sich umdrehte und davonging; über die Schulter hinweg schrie sie den beiden Schimpfworte zu, während sie ihre Schritte zu einem nahen Wald lenkte. Es folgte eine Großaufnahme ihres erschrockenen Gesichts, als zwei Männer in Holoanzügen sie packten und in einen kleinen Luftwagen verfrachteten.
»Sie nennen es ›die Bindung‹«, erklärte Strukow spöttisch. »Aber das Sie wissen besser als ich, ist es nicht so? Sie selbst haben gemacht das Holo, das diese Bauern betrachteten. Nachdem sie es hatten gesehen, benutzten sie die roten Injektionsspritzen und waren fortan aneinandergefesselt. Nun ja. Doch hier ist die Frau drei Stunden, nachdem man sie hat fortgebracht.«
Die entführte Frau saß allein in einem komfortablen Zimmer. Nach einer Weile schnappte sie plötzlich nach Luft, griff sich an die Brust und glitt vom Stuhl. Ihr Blick war todesstarr. Das Holo überlagerte das Bild mit einer RoboKamera-Aufnahme der beiden Männer, mit denen sie verbunden gewesen war; auch sie waren tot.
»Ein elektrischer Vorgang im Herzen«, erklärte Strukow und nickte. »Ein sehr sauberer Mechanismus, sehr elegant. Sie gefällt mir, diese Technik, um Ihre Bauern zu kontrollieren. Mach sie abhängig voneinander, und ihre Aktivitäten können sich beschränken nur auf einen sehr eng begrenzten Raum, ja? Ein gutes Modell. Aber dennoch Sie wählen nicht dieses Modell. Sie sagen mir, lassen Sie den Versuch und geben Sie mir etwas anderes!«
Will gab keine direkte Antwort. »Diese Vielfalt von Ängsten, die Sie auf Dauer hervorrufen können – müssen sie, von der Biochemie her, alle gezwungenermaßen so ausgeprägt sein wie bei diesen beiden Beispielen?«
»Aber nein! Diese NMDA-Rezeptoren wurden sehr nachdrücklich aktiviert. Sie haben geschaffen die Nervenbahnen von großer Stärke. Es ist möglich, schwächere Effekte zu schaffen.«
»Ist es Ihnen möglich, sie zu schaffen?« erkundigte sich Will.
»Aber selbstverständlich. Angélique, ca va.«
Die Holobühne schaltete auf Bildschirm-Modus um. Bildschirm auf Bildschirm mit Kurven, Gleichungen, Molekulardiagrammen, chemischem Formeln, Tabellen mit Variablen und schematischen Darstellungen der Ionenreaktionen flogen vorbei – auf ihre Art so bösartig komplex, wie die vorangegangenen Demonstrationen simplifizierend gewesen waren.
»In erster Linie«, fuhr Strukow fort, »man beschäftigte sich bei der Erforschung menschlicher Ängste bisher mit den Synapsen, den Neurotransmittern und den verschiedenen Typen von Rezeptoren. Ich hingegen beschäftige mich mehr mit den Belastungsvorgängen im Innern der Nervenzellen, wo die Neuropeptide werden gebildet. Hier ist es, wo die chemischen Reaktionen ihren Anfang nehmen und zum Abschluß kommen. Jede Pyramidenzelle erhält bis zu hunderttausend Kontaktierungen von jenen Neuronen, mit denen sie in Verbindung steht. Daher man beginnt mit den Modellen der Reizleitung.
Und mit noch etwas anderem. Da gibt es die Peptide, die sich nur bilden unter den pathologischen Bedingungen. Es ist möglich, in Gang zu setzen eine Kettenreaktion der komplexen Aminosäuren, beginnend im Innern einer Zelle. Manche Aminosäuren in der Kette sind krankhafter Natur; andere sind normal; wieder andere sind die endogenen exzitatorischen Aminosäuren, transformiert in Exzitotoxine. Diese Kette, sie hat ihren Anfang in den veränderten Nervenbahnen der Amygdalae.
Von dort sie erstreckt sich über das Zentralnervensystem zum Innern der Zellen an vielen anderen Orten – im Gehirn, in den Muskeln, in den Drüsen und in den inneren Organen. Die Kette beeinflußt viele Bioamine, einschließlich des Azetylcholins – blicken Sie auf diese Graphik bitte –, des Norepinephrins, des CRF, des Glutamins, des kritischen Gamma-C – viele, viele Aminosäuren.
Dazu kommt, daß diese Kettenreaktion nie endet,
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