Beuterausch
Mädchen war.
Sie hatte es hassen gelernt, aber es kam immer wieder vor, selbst jetzt nach all den Jahren noch. Nur eine weitere Sache, die sie gefangen hielt.
Er stand vom Bett auf, und sie sah hinter ihm ihre Mutter im Flur stehen und zusehen.
Zusehen war das Einzige, das ihre Mutter zurzeit zu tun schien.
Peggy überlegte, ob Belle schon immer so gewesen war und sie selbst es als Kind nur nicht bemerkt hatte. Und ob ihre Mutter als junge Frau auch schon so passiv gewesen war, als sie und ihr Vater sich zum ersten Mal begegnet waren auf dem Flur der Highschool, den sie selbst nun jeden Tag entlangging, oder ob sie sich im Laufe der Zeit langsam entwickelt hatte, diese Nachgiebigkeit – und wenn das so war, ob es ihr eines Tages auch so ergehen würde. Würde sie sie erben? Und dahinschmelzen zu einem Geist, der nur der Erfüllung der Wünsche eines unbekannten Mannes diente?
Sie hatte Angst, dass es so kommen würde. Andererseits hatte sie eine Zeit lang vor vielen Dingen Angst gehabt.
Er zeigte keine Anzeichen von Unmut ihr gegenüber, weil sie dagestanden und zugesehen hatte, und Belle war froh darüber, denn sie musste versuchen, ein ernstes Gespräch mit ihm zu führen. Chris legte sogar liebevoll die Hand in ihren Nacken, während sie zusammen ins Schlafzimmer gingen.
Sie schaltete die Nachttischlampe an, und er schloss die Tür und begann sich auszuziehen, indem er wie immer zuerst mit dem Rücken zu ihr sein Hemd aufknöpfte, und sie fasste ihn an die Schulter. Sie ermahnte sich, nicht zu besorgt zu wirken.
»Chris, Schatz? Können wir kurz reden? Wegen dieser Frau. Meinst du wirklich, wir sollten …«
Er wirbelte herum, ihre Hand fiel von seiner Schulter, und plötzlich brannte ihr Gesicht wie Feuer.
Er hob die andere Hand, als wollte er sie erneut schlagen. Seine Augen waren funkelnde Schlitze, die Lippen schmal, die Kiefer zusammengebissen.
»Mein Gott, Chris!«
Er ließ die Hand langsam herabsinken.
Er hatte sie seit der Abtreibung nicht mehr geschlagen, oder dem Vorfall, den sie in Gedanken als die Abtreibung bezeichnete, obwohl kein Arzt und kein Krankenhaus mitgewirkt hatten und ihr Gott sei Dank auch die Reihen von Demonstranten erspart geblieben waren. Er hatte sie seitdem nicht mehr geschlagen. Aber selbst damals hatte er keinen Grund gehabt. Sie hatte nur gesagt, es gäbe andere Wege, damit umzugehen, als den, den er vorgeschlagen hatte.
Das Gesicht schmerzte, und es klingelte in ihren Ohren.
Du Mistkerl, wollte sie sagen. Du verdammtes Schwein.
Ich habe das nicht verdient.
Er wandte sich ab und schlüpfte aus seinem Hemd, streifte die Slipper ab, knöpfte die Hose auf, zog sie aus und legte beides, Hemd und Hose, ordentlich auf dem Eckstuhl zusammen. Dann setzte er sich hin und klopfte neben sich aufs Bett. Lächelte sie an.
»Lass uns ein bisschen schlafen, Belle.«
Er rutschte auf seine Seite hinüber. Schüttelte die Kissen auf. Zog das Laken über sich. Und dann lag er einfach da.
Sie ließ sich Zeit mit dem Ausziehen, dem Überstreifen des Nachthemds und dem Ausbürsten ihres Haars vor dem Spiegel. Die Frau, die sie aus dem Spiegel ansah, würde nicht einfach so einschlafen. Nicht heute Nacht. Nicht in nächster Zeit.
Sie dachte: Wenn ich das damals gewusst hätte, hätte ich ihn dann trotzdem geheiratet? Sie hatte eine Menge Fragen an sich selbst. Schon immer gehabt. Aber auf diese kannte sie die Antwort.
Brian lauschte in der Dunkelheit, bis das Haus zur Ruhe kam. Bis alle schliefen.
Als er sich seiner Sache sicher war, stieg er aus dem Bett, ging zum Fenster gegenüber und zog so leise er konnte die Rollläden hoch. Der Hof war still. Kein Hund bellte oder heulte. Kein Nachtvogel rief. Nicht einmal Grillen. Unten am Weiher würden Grillen sein – und auch Frösche. Aber hier? Nichts. Mondlicht und Stille.
Er starrte auf die Kellertür.
Stille auch dort.
Er fragte sich, was sie dort unten tat. Wie sie aussah, wenn sie dort im Dunkeln hing. Er stellte sie sich vor.
Sie blickt auf das Durcheinander aus Essen und Scherben vor sich. Aus ihrem Ohr ist Blut in das Essen getropft. Es ist bequem in ihrer Reichweite. Sie wird es nicht anrühren.
Sie hört, wie sich zu ihrer Rechten etwas bewegt, leise, hinter der alten Truhe auf der anderen Seite des Raums. Sie braucht nicht erst in der Luft zu schnüffeln, um zu wissen, was diese Geräusche macht. Der Geruch hat sie lange begleitet. Das Kratzen stammt von Mäusen, und jetzt sieht sie sie, drei Stück, zögernd
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