Beuteschema: Thriller (German Edition)
Kind. » Ich bin hundemüde.«
» Du hast deine zwanzig voll. Jeder Tag danach ist, als würdest du für die halbe Bezahlung arbeiten. Das hat dein Vater immer gesagt.«
» Ma, bitte hör auf.«
» Du kannst tausend andere Dinge tun.«
» Leute, die sehen, können tausend andere Dinge tun. Jemand, der blind wird, nicht.«
» Nicky, du musst dich den Tatsachen stellen.«
Nick seufzte. Diese Unterhaltung war zur ermüdenden täglichen Übung geworden, seit er ihr das Geheimnis seiner schwindenden Sehkraft verraten hatte. Und er hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass die einzige Möglichkeit, eine Auseinandersetzung mit seiner Mutter zu gewinnen, darin bestand, sich erst auf gar keine einzulassen.
» Können wir die Sache für heute Abend fallenlassen?«, flehte er.
» Die Mädchen haben bereits ihre Mutter verloren. Sie können es sich nicht leisten, auch noch ihren Vater zu verlieren, und ich werde nicht ewig da sein.«
» Ich habe noch eine Chance bekommen, Ma«, argumentierte er. » Um diesen Ratten bei der Arbeit zu beweisen, dass sie sich geirrt haben, was mich betrifft.«
» Du weißt, dass du nichts Unrechtes getan hast. Also benimm dich nicht wie dein Vater«, sagte sie und ging zum Herd. » Ich mache dir ein paar Rühreier.«
So war das mit seiner Mutter. Sie hatte immer eine Antwort parat, und sie hatte immer recht. » Lass Dad aus dem Spiel«, sagte Nick und setzte sich an den Küchentisch. Seit Jahren hatte sich nichts in dem Haus verändert, und es gefiel Nick. Dieselben Platzdeckchen, dieselbe Schale mit Plastikobst auf dem Tisch. Er fand die Berechenbarkeit seiner Mutter tröstlich.
» Dein Vater– Gott sei seiner Seele gnädig– hat immer zu beweisen versucht, dass er ein guter Polizist war, und schau dir an, wohin es ihn gebracht hat: Tod durch Herzinfarkt, bevor er in Rente ging.« Sie seufzte und nahm drei Eier aus dem Kühlschrank.
Nick mochte es, wie sie sie zubereitete– sehr langsam, sodass sie weich und saftig waren.
» Dad war ein guter Polizist, der an eine Bande schwarzer Schafe geraten ist«, belehrte Nick sie jetzt. » Er hat nie Geld genommen wie all die anderen, und er hat sie nie verpfiffen. Er musste nichts beweisen.«
» Und du genauso wenig, mein Sohn.«
Sie sah ihn noch einen Moment lang an und wandte sich dann dem Herd zu.
Schweigend aß Nick seine Rühreier und drei Scheiben Toast, fast verbrannt, so wie er es mochte. Er holte sich eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und gab seiner Mutter einen Gutenachtkuss auf die Wange, so wie er es als Kind getan hatte. Nachdem er nach seinen schlafenden Mädchen gesehen und beiden einen spitzen Kuss auf die Stirn gedrückt hatte, ging er in sein Zimmer und machte die Tür zu. Wie jeden Abend nahm er seine Waffe ab und sperrte sie in den Safe, der in seinen Nachttisch eingebaut war. Seine Mutter und seine Töchter hatten keine Ahnung, wo er seine Waffen aufbewahrte, und fragten ihn nie danach. Er hatte nur einer Person jemals die Kombination verraten, und das hatte in einer Katastrophe geendet.
Er schaltete das Licht aus, ließ sich in seinen Sachen aufs Bett fallen und schloss die Augen, um sich seiner Erschöpfung hinzugeben. Es dauerte jedoch nicht lange, bis er merkte, dass er sich in jenem seltsamen Zustand befand, in dem man zu müde war, um einzuschlafen.
Fast wie ohne sein Zutun griff Nick unter das Bett und holte ein großes Kuvert hervor.
Warum tue ich das? Warum jetzt?
Nick konnte seine Frage nicht beantworten. Er griff in das Kuvert und zog eine Reihe von Zeitungsausschnitten heraus. Dann knipste er die Nachttischlampe an und fing an, die Schlagzeilen zu lesen, die vor acht Monaten verfasst worden waren.
Die Daily News: MÖRDER - COP WEGEN TÖTUNG DER EHEFRAU ANGEKLAGT
Die New York Times: NYPD - DETECTIVE DER ERSCHIESSUNG DER EHEFRAU BESCHULDIGT
Die Post: BEAMTER DES MORDDEZERNATS BRINGT FRAU UM
Alle drei brachten das Foto, bei dem sich Nick für den Rest seines Lebens krümmen würde: Es zeigte, wie er mitten in der Nacht in Handschellen von seinem Haus in Queens weggeführt wurde, während seine Töchter von der Haustür aus zuschauten. Die Post war die einzige Zeitung, die ein Bild von Jenny abdruckte, aufgenommen von einem Nachbarn, in dessen Garten sie am vorangegangenen Labor Day bei einer Grillparty gewesen waren. Nick starrte auf das Bild seiner toten Frau.
Warum? Warum? Er rannte die Treppe hinauf. Durch den Flur, vorbei an den Familienbildern an der Wand. Tu es nicht, Jenny … Ich
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