Beutewelt 01 - Bürger 1-564398B-278843
dem Asphalt vor dem „Tempel der Toleranz“ liegen.
An seiner finsteren, wahnhaften Entschlossenheit diesem Mann und auch jedem weiteren, der sich ihm in den Weg stellte, den Tod zu bringen, änderten auch die Schlafstörungen und wiederkehrenden Alpträume nichts, die ihn in den folgenden Nächten erneut zu quälen gedachten.
Durch nichts wollte er sich davon abhalten lassen, seine Rache auszuüben. Manchmal ging er in den dunklen, mit verfaulten Brettern und alten Kisten vollgestellten Kellerraum, in dem Alf den Sprengstoff gelagert hatte. Hier gab es nicht einmal einen Lichtschalter und während sein Mitstreiter schlief, schlich sich der junge Rebell heimlich die steinerne Treppe hinunter und beugte sich über die blauen Tüten, die mit Klebebandstreifen zugeklebt waren, um sie mit einem liebevollen Lächeln zu streicheln wie eine Mutter ihr neugeborenes Kind.
Bis Mitte Februar gab es für Frank und Alf nicht anderes mehr als das intensive Studium der Pläne von Tunneln und Kanälen in Paris. HOK besuchte die beiden manchmal mehrmals am Tag, um ihnen noch aktuellere und detailreichere Aufzeichnungen zu geben.
Sie planten, auf Anraten des Informatikers, bei der „Avenue des Saint-Ouen“ das unterirdische Labyrinth zu betreten, und waren damit fast zwei Kilometer vom Sperrgürtel entfernt. Hier wanden sich endlose dunkle Schächte durch die Eingeweide der Metropole, von denen ein paar fast genau unter dem „Tempel der Toleranz“ und dem Platz davor verliefen.
Das Hinabsteigen in die Unterwelt von Paris war ein Wahnsinn für sich. Nicht nur, dass man sich auf die Aufzeichnungen der Behörden der Stadt, die zumindest mehr oder weniger öffentlich zugänglich waren, keineswegs blindlings verlassen konnte, nein, auch ein Verirren in den finsteren Stollen war keine angenehme Angelegenheit.
Manche Tunnel waren vor vielen Jahren gesperrt worden oder sogar halb eingestürzt und selbst die langjährigen Mitarbeiter der Stadtverwaltung und der Abwasserbehörden kannten nicht mehr jeden der Pfade durch die Erde. Auch wollten Frank und Alf nach genauerem Nachdenken nicht unbedingt nähere Bekanntschaft mit den berüchtigten Katakomben von Paris machen.
Diese dunklen Orte waren eine Nekropole, wie es sie weltweit kaum ein zweites Mal gab. Hier sollten angeblich die Gebeine von über fünf Millionen Menschen ruhen, die zu Beginn der frühen Neuzeit aus Platzmangel auf den Friedhöfen, hinab in die Finsternis geschafft worden waren. Im Grunde stand die ehemalige französische
Hauptstadt auf einem gigantischen Gräberfeld. Fasziniert erzählte Alf immer wieder von den Räumen der Toten unter der Stadt, die teilweise bis an die Decke voller Gebeine gestopft wären. Frank, der vorgab, den Tod nicht mehr zu fürchten, wurde es dabei immer etwas mulmig, obwohl er sich sagte, dass die Lebenden viel gefährlicher waren als die Toten, deren Ruhe man gedachte zu stören.
„Mögen es uns die Toten von Paris verzeihen, dass wir ihr Reich betreten haben. Ihre Brüder im Jenseits, die klagend auf die Welt herabblicken, weil ihr Leben durch die neuen Herren der Erde so früh beendet wurde, werden es uns danken, wenn wir sie rächen“, dachte sich Kohl- haas.
Es gab allerdings fernab aller Gruselgeschichten von Katakomben und finsteren Löchern im Untergrund von Paris noch einiges zu organisieren, ehe die Zeit so weit fortge sch ritten war, dass es kein Zurück mehr gab. Frank und Alfred sollten per Flugzeug nach Compiegne im Nordosten von Paris gebracht werden, um von dort aus unauffällig und in Zivil gekleidet in die riesige Metropole vorzudringen.
Da es sich bei allen Flugzeugen in Ivas um für die Luftüberwachung unauffällige Privatmaschinen handelte, die völlig unauffällige Besitzer hatten, war diese Vorgehensweise durchaus sinnvoll.
Von Compiegne aus gedachten die beiden Attentäter mit einem Leihwagen nach Paris zu fahren. Ihre Scanchips waren gefälscht und eigentlich mussten sie wasserdicht sein. Die Anreise nach Paris sollte mindestens eine Woche vor dem 01.03.2029 erfolgen, damit genug Zeit blieb, wenigstens einmal den Weg durch die Stollen und Tunnel hin zum „Tempel der Toleranz“ und zurück zu erkunden. Das schäbige Hotel, in dem Frank und Alfred auf den großen Tag warten sollten, hatte HOK bereits im Internet ausfindig gemacht, ebenso die Leihwagenfirma in Com- piegne. Es musste alles bis ins kleinste Detail geplant werden, denn Zeitverzögerungen und Unsicherheiten könnten sich bei dieser kühnen
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