Beutewelt 06 - Friedensdämmerung
uns glaubt. Er nennt uns sogar „Geschäftspartner“ und erscheint glücklich darüber, dass wir uns mittlerweile so sehr vertrauen.“
Ein lautes Gelächter schallte durch den Raum, einige Ratsmitglieder schlugen sich auf die Schenkel. Nun grinste auch der Weltpräsident hämisch. Dann fuhr er fort.
„Wenn sich Tschistokjow bei einem seiner engsten und ältesten Vertrauten in dieser Form äußert, dann liegt meiner Meinung nach die Vermutung durchaus nahe, dass er doch naiver und ungefährlicher ist, als auch ich es am Anfang gedacht habe.“
Der Vorsitzende erhob sich von seinem Platz. „Der große Rebellenführer, der uns noch vor ein paar Jahren vernichten wollte, ist inzwischen fett und müde geworden. Es gibt in der Geschichte so viele Beispiele wie Artur Tschistokjow. Sobald diese Revoluzzer von einst einmal am Trog der Reichen gefressen hatten, wurden sie zahmer als jedes Lämmchen. So ist es wohl auch bei ihm. Als Dank für seine Kooperation werden wir Tschistokjow jedenfalls den Kopf abschlagen – und seinem gesamten Volk auch.“
„So ist es!“, stieß der Weltpräsident aus, den Zeigefinger in die Höhe hebend. „Es dauert nicht mehr lange, dann werden unsere Truppen bereit für den tödlichen Streich sein. Schon jetzt werden unterbrochen Soldaten ausgehoben und Waffen produziert. Wir werden eine Armada gegen diesen Emporkömmling und seinen Freund Matsumoto aufstellen, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat.“
Der Oberste der Weisen blickte die übrigen Ratsmitglieder an und legte seine knochigen Hände auf den Tisch. Seine von tiefen Falten und Furchen umgebenen Augen stierten ins Leere. Für einige Minuten herrschte andächtiges Schweigen in dem kleinen Konferenzraum, wo sich die Spitze der Weltpolitik versammelt hatte.
„Ich hatte eigentlich gedacht, dass Artur Tschistokjow wenigstens eines Tages ein Gegner sein würde, den man zumindest irgendwie fürchten könnte. Aber auch er hat sich diesbezüglich als Enttäuschung erwiesen. Er ist wie so viele andere vor ihm, die uns dann doch in Windeseile ihre Seele verkauften, sobald wir ihnen Geld und Gold unter die Nase gehalten haben.
Es war immer so und es wird auch in Zukunft so bleiben. Wir herrschen und diese Tiere müssen dienen. Und sind es denn mehr als Tiere, wenn wir immer so leichtes Spiel mit ihnen haben? Nein, sie sind Dreck! Vieh! Geistloser Abschaum! Fressendes, fickendes, scheißendes Gewürm! Was haben sie anderes als Sklaverei verdient?“
Ende der Vorstellung
Wilden war vor zwei Tagen ohne jede Absprache mit Artur Tschistokjow nach Japan geflogen, um sich mit Außenminister Akira Mori zu treffen. Letzterer hatte ausdrücklich darum gebeten, denn sowohl er selbst als auch der japanische Präsident Matsumoto, waren seit Tschistokjows letzten Eskapaden äußerst enttäuscht und sorgten sich um das mit Russland geschlossene Bündnis.
Heute war Wilden zu Moris Villa am Stadtrand von Tokio herausgefahren und die beiden Politiker machten einen Spaziergang durch das weiträumige Anwesen des japanischen Außenministers.
„Herr Tschistokjow weiß nicht, dass ich hier in Japan bin. Er glaubt, dass ich mich in Litauen aufhalte. Deshalb muss diese Unterredung ein Geheimnis bleiben“, sagte Wilden auf Englisch.
“Sie können auf mich zählen, Herr Wilden. Nur Präsident Matsumoto weiß von diesem Treffen“, versicherte der Japaner.
„Ich kann mir Herrn Tschistokjows Verhalten in den letzten Monaten nicht mehr erklären – und ich vertraue ihm auch nicht mehr. Das ist die traurige Wahrheit, Herr Mori“, bemerkte der Gast aus Russland mit betretener Miene.
„Präsident Matsumoto und ich sind in der gleichen Lage.”
„Nun, was schlagen Sie vor? Wie sollen wir in Zukunft mit Tschistokjow umgehen? Hat er unsere Sache verraten? Haben ihn die Logenbrüder gekauft?“, wollte Wilden wissen.
Mori überlegte; er betrachtete einen kleinen Teich voller schillernder Zierfische. Dann wandte er sich wieder seinem Gast zu: „Meiner Ansicht nach muss Tschistokjow durch einen anderen Führer der Freiheitsbewegung ersetzt werden, wenn er sein Verhalten nicht ändert.“
Wilden schluckte und schien sich wie ein Thronräuber zu fühlen. Derartige Gedanken waren ihm ein Graus, doch es änderte nichts daran, dass Artur Tschistokjow in letzter Zeit alles dafür getan hatte, sein Vertrauen zu verspielen. Der Deutsche glaubte inzwischen, dass alles, was so viele Idealisten und auch er selbst aufgebaut hatten, vom Untergang bedroht war.
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