Bevor der Abend kommt
verschwindet und nie wieder kommt«, schluchzte Heather. »Ich habe gesagt, ich wünschte, sie wäre tot.«
Cindy schob Heather sanft von sich weg und blickte ihr tief in die Augen. »Heather, hör mir zu. Das ist sehr wichtig. Egal was passiert, egal wo Julia ist und was sie davon abhält, zu uns zurückzukommen, es hat nichts mit dir zu tun. Hast du das verstanden? Diese Macht hast du nicht. Es ist nicht deine Schuld. Hörst du mich? Es ist nicht deine Schuld.«
Cindy schlang erneut ihre Arme um ihre Tochter und wiegte sie sanft hin und her, bis Heather irgendwann in einen unruhigen Schlaf fiel. Durch den Schleier ihrer stetig fließenden Tränen sah Cindy zu, wie die Minuten auf dem Digitalwecker auf ihrem Nachttisch weiterklickten. Hin und wieder murmelte Heather im Schlaf, und Cindy strengte sich an, die Worte auszumachen.
»Es ist nicht meine Schuld«, sagte sie. »Es ist nicht meine Schuld.«
31
Am nächsten Morgen wachte Cindy um Punkt sieben auf, schlüpfte zwischen ihrer Tochter und dem Hund aus dem Bett und schlich auf Zehenspitzen ins Bad, wo sie duschte, ein wenig Make-up auflegte, Zähne und Haare bürstete, bevor sie den begehbaren Kleiderschrank betrat, wo sie cremefarbene Chinos und eine gestärkte weiße Bluse anzog. Sie wusste, dass sie lange nicht mehr frisch und gepflegt ausgesehen hatte, und es war wichtig, dass sie aufhörte, sich gehen zu lassen. Um Heathers wie um ihrer selbst willen, entschied sie. Sie hatte schließlich zwei Töchter, nicht nur eine.
Heather schlief noch fest, als Cindy ins Schlafzimmer zurückkehrte. Elvis hatte seine Position verändert und lag jetzt zusammengerollt auf Cindys Kopfkissen. Als Cindy näher trat, hob er den Kopf, als wollte er fragen, warum sie nach so kurzer Nacht schon auf den Beinen war. Als sie aus dem Zimmer ging, ließ er den Kopf wieder sinken.
Auch Cindy fragte sich, was sie so früh eigentlich vorhatte, doch in Wahrheit war sie gar nicht richtig eingeschlafen, und ihre Glieder waren vom Herumliegen steif geworden. Da war es doch besser, aufzustehen und sich in dem Bemühen, Normalität vorzutäuschen, zur Abwechslung mal wie ein funktionierenden Erwachsener zu benehmen. Wenn Heather aufwachte, würde sie ihre Mutter angekleidet und präsentabel bei der Zubereitung von Pfannkuchen antreffen, voller Interesse für die Pläne ihrer Tochter für das kommende Wochenende.
Doch fürs Erste würde sie sie schlafen lassen.
Cindy ging in die Küche hinunter, kochte eine Kanne Kaffee,
setzte sich an den Küchentisch und starrte durch die Glasschiebetür. Draußen war ein weiterer perfekter Tag angebrochen. Cindy lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und betrachtete den Morgenhimmel. Über dem Garten der Sellicks hing eine große rosafarbene Wolke im Gegenlicht der noch tief stehenden Sonne, den violetten Bauch freundlich entblößt wie ein kleiner Hund, der auf dem Rücken schlief. Einzelne Fetzen hatten sich gelöst und trieben nach rechts davon. Sie waren ebenfalls violett und hatten die Form eines weiblichen Mundes wie ein Lippenstiftabdruck in der Luft. Cindy beobachtete, wie die Fetzen langsam verwehten und sich im tiefer werdenden Blau des Tages verloren.
Alles verschwindet, dachte sie. Wolken, Leute, ganze Zivilisationen. Die Menschen waren so zerbrechlich und flüchtig wie ein kühler Lufthauch.
Sie streckte die Beine aus, hörte ihre Gelenke ächzen wie Türangeln, die dringend geölt werden mussten. Der improvisierte Lauf gestern Abend war dumm gewesen, vor allem weil sie seit Wochen nicht mehr trainiert hatte. So glitt der Körper unmerklich ins mittlere Alter, dachte sie und tätschelte die leichte Rundung ihres Bauches. Als sie aufstand und zur Haustür ging, spürte sie, wie ihre Oberschenkelmuskeln sich verkrampften. Sie musste wieder anfangen, Sport zu treiben, nahm sie sich vor und entschied, dass sie Leigh fragen würde, ob sie sie am Nachmittag ins Fitnessstudio begleiten wollte.
Der Globe und die Sun lagen zu ihren Füßen, als Cindy die Tür öffnete. Sie überflog die Schlagzeilen und stellte fest, dass beide das gleiche unvorteilhafte Foto des Premierministers gedruckt hatten. »Na, wer hätte das gedacht?«, fragte sie ihn, als sie sich bückte, um die Zeitungen aufzuheben. »Heute ist Freitag, der Dreizehnte.« Beide Zeitungen an die Brust gedrückt, bewegte sie sich rückwärts wieder ins Haus und wollte gerade die Tür schließen, als sie hörte, dass nebenan eine Tür geöffnet wurde.
Cindy erstarrte, als sie
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