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Bevor der Abend kommt

Titel: Bevor der Abend kommt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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er das wirklich getan, oder war das vielleicht bloß ein weiterer Spinner gewesen? Warum hatte sie nicht vorher an diese Möglichkeit gedacht? Womöglich gab es gar keinen Officer Medavoy.
    »Mal sehen, ob ich ihn für Sie finden kann«, sagte der Polizist sachlich, freundlich und so unbefangen, als ob er einem normalen Menschen gegenüberstand und keiner aus der Irrenanstalt entwichenen Patientin, als ob ihre Haut nicht kalkweiß und ihre Augen nicht vor Sorge und Erschöpfung verquollen wären, als ob ihre Haare nicht wild in alle Richtungen abstehen würden und sie nicht ungewaschen und muffig riechen würde, der Atem noch belegt vom Schlaf, als ob er jede Nacht um zwei mit vor Sorge halb verrückten Müttern reden würde.
    Und vielleicht tat er das ja, dachte Cindy und begriff, dass es in den Stunden zwischen Mitternacht und sieben Uhr morgens eine komplett andere Welt gab, eine umgekehrte Welt, in der ebenfalls Menschen arbeiteten und ein normales Leben lebten. Doch was war schon normal, fragte sich Cindy und beobachtete, wie der Beamte im inneren Heiligtum der Wache verschwand.
    Praktisch im selben Moment betrat die Polizistin den Hauptraum
wieder durch eine andere Tür. »Officer Medavoy ist sofort für Sie da«, erklärte sie Cindy, setzte sich wieder an ihren Schreibtisch und gab vor, sich in irgendwelchen Papierkram zu vertiefen.
    »Kann ich hineingehen? Kann ich meine Tochter sehen?« Es erforderte Cindys ganze Selbstbeherrschung, nicht über den Tresen zu springen.
    »Officer Medavoy würde vorher gern mit Ihnen sprechen.«
    »Warum? Ist irgendwas nicht in Ordnung? Geht es meiner Tochter gut?«
    »Sie hat sich übergeben.«
    »Sie hat sich übergeben?«
    »Sie wird gerade gesäubert.«
    »Das kann ich doch machen. Bitte – lassen Sie mich einfach zu ihr.«
    »Tut mir Leid. Sie müssen auf Officer Medavoy warten«, ermahnte die Polizistin sie, als der andere Beamte ebenfalls wieder auftauchte.
    »Officer Medavoy ist gleich für Sie da«, sagte er und bückte sich, um etwas hinter dem Tresen zu suchen.
    Cindy beobachtete mit wachsendem Staunen, wie die beiden Beamten ihrer gewohnten Arbeit nachgingen. Was war nur los mit allen, fragte sie sich erneut. Warum waren sie so ruhig, so cool, so gleichgültig? Warum ließen sie sie ihre Kleine nicht sehen?
    Irgendetwas stimmte hier nicht, entschied sie. Warum diese mangelnde Sorge, zumal wenn Julia sich übergeben hatte? Begriffen sie nicht, wer sie war? Wo waren die Detectives Bartolli und Gill? Warum waren sie nicht hier?
    »Sind die Detectives Bartolli und Gill hier?«, fragte Cindy lauter als beabsichtigt.
    Die beiden Beamten wechselten einen Blick, aber keiner der beiden drehte sich um. »Ich glaube nicht«, antwortete die Polizistin. »Nein.«

    »Warum nicht? Warum hat niemand sie benachrichtigt? Was geht hier vor?«
    Beide Beamten näherten sich vorsichtig. »Geht es Ihnen gut, Mrs. Carver?«
    »Nein, es geht mir natürlich nicht gut. Ich will meine Tochter sehen.«
    »Sie müssen sich beruhigen.«
    »Beruhigen? Sie erwarten, dass ich mich beruhige? Was ist bloß los mit Ihnen?« Hatte sie den Anruf vielleicht doch nur geträumt? War diese ganze Episode vielleicht nur ein brutaler Streich?
    In diesem Moment ging eine weitere Tür an der Rückseite des Raumes auf, und ein großer, kräftiger Mann betrat den Raum. Er war um die vierzig, mit braunem Haar, einem eckigen Kinn und einer Nase, die schon mehrfach gebrochen war. »Mrs. Carver?«
    »Wo ist meine Tochter?«
    »Ich bin Officer Medavoy«, erwiderte der Mann, kam um den Tresen und streckte die Hand aus.
    Cindy schüttelte sie, weil das offensichtlich von ihr erwartet wurde, doch am liebsten hätte sie sie weggeschlagen und die imposante Gestalt aus dem Weg geschubst. Wozu die Formalitäten? Warum brachte man sie nicht einfach zu Julia? Welche Notwendigkeit gab es, vorher noch zu reden? Auf welche grausame Wahrheit wollte man sie vorbereiten? »Bitte, Officer Medavoy. Ich muss meine Tochter sehen.«
    Er nickte. »Ihnen ist bekannt, dass sie sich nicht im allerbesten Zustand befindet.«
    »Nein, das ist mir nicht bekannt. Mir ist gar nichts bekannt. Wo haben Sie sie gefunden? Wann haben Sie sie gefunden?«
    »Wir haben sie vor etwa einer Stunde in einer Tiefgarage an der Queen Street aufgegriffen.«
    »In einer Tiefgarage?«
    »Sie war in eine Prügelei mit ein paar anderen Mädchen verwickelt. Sie hat ein bisschen was abgekriegt.«

    »Eine Prügelei?«
    »Offenbar ging es um irgendeinen

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