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Bevor der Abend kommt

Titel: Bevor der Abend kommt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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Gesicht der Empfangsdame. »Julia ist Ihre Tochter?«
    Cindy nickte und spürte einen so heftigen Anflug von Mutterstolz, dass ihr erneut Tränen in die Augen schossen.
    »Sie ist so ein tolles Mädchen.«
    »Ja, das ist sie.«
    »Julia wird bestimmt mal berühmt. Dann kann ich sagen: ›Ich kannte sie früher.‹«
    Wieder nickte Cindy. Bitte, lieber Gott, dachte sie, mach nur, dass Julia nichts passiert ist.
    »Es ist Lindsey Krauss.«
    »Was?«
    »Ihre Freundin. Es ist Lindsey Krauss. Sie ist in Peters Kurs.« Sie wies auf eine der geschlossenen Türen am anderen Ende des Raumes.
    »Kann ich reingehen?«
    »Nun, es kostet achtzehn Dollar, und die Stunde ist beinahe beendet. Warum warten Sie nicht einfach, bis sie fertig ist?« Mit dem Kinn wies sie auf das Sofa und die Stühle in der Ecke.
    Cindy warf einen Zwanzig-Dollar-Schein auf den Tresen und marschierte zu dem angegebenen Raum.
    »Warten Sie. Ihr Wechselgeld …«, rief die Frau am Empfang ihr nach und fügte, als Cindy nicht antwortete, noch hinzu: »Sie brauchen eine Matte.«
    Cindy schnappte sich eine hellblaue Matte aus dem Regal, öffnete die Tür und spähte hinein. Zehn Leute, acht Frauen und zwei Männer standen, die Augen geschlossen, neben ihren Matten auf einem Bein auf dem Parkettboden wie menschliche Flamingos. Ihr zweites Bein hatten sie in Kniehöhe über ihr Standbein geschlagen, die Ellenbogen abgewinkelt und die Hände vor dem Körper zusammengelegt wie zum Gebet. Mehrere Frauen schwankten bedrohlich auf ihren Fußballen
und hatten Mühe, ihren Stand zu wahren, und das Gesicht eines Mannes wirkte vor Konzentration derart verkniffen, dass man Angst hatte, es könnte implodieren. Irgendwelche Filmstars konnte Cindy nicht entdecken, doch sie erkannte Lindsey Krauss, eine große, gertenschlanke Brünette mit einem chirurgisch vergrößerten Busen, der ihre ansonsten knabenhafte Gestalt beherrschte. Cindy bewegte sich langsam zu Lindseys Platz in der Mitte des Raumes, legte ihre Matte hinter dem Mädchen auf den Boden und fragte sich, wie sie sie am besten ansprechen sollte. Sie schwankt und zittert kein bisschen, dachte Cindy und bewunderte die mühelose Eleganz, mit der die junge Frau die Übung absolvierte. Sie ist perfekt, dachte Cindy.
    Wie Julia.
    Der Lehrer, ein biegsamer junger Mann mit hellbraunen Haaren und klaren blauen Augen, nickte Cindy beinahe unmerklich zu, als sie versuchte, die korrekte Stellung einzunehmen. Was zum Teufel mache ich hier, fragte sie sich, während sie versuchte, auf einem Fuß das Gleichgewicht zu halten. Warum hatte sie nicht bis zum Ende der Kursstunde in der bequemen Sitzgruppe beim Empfang gewartet, eine Flasche Mineralwasser getrunken und frische Orangen gegessen? Was hoffte sie, hier drinnen erreichen zu können?
    »Konzentrieren Sie sich auf Ihre Atmung«, wies der Kursleiter sie leise, beinahe flüsternd an. »Wenn Ihre Gedanken abschweifen, richten Sie sie einfach zurück auf Ihre Atmung. Das hilft Ihnen, die Balance zu wahren.«
    Nicht wenn man so gründlich aus dem Gleichgewicht geworfen ist wie ich, dachte Cindy und schob ihren linken Fuß an ihrem rechten Oberschenkel nach oben, wogegen ihr anderer Fuß sich mit einem Krampf wehrte.
    »Und nun lassen Sie das Bein langsam sinken«, wies Peter die Teilnehmer an, worauf Cindys Fuß krachend auf dem Boden landete, was Peter mit einem leichten Runzeln seiner ansonsten
glatten Stirn quittierte. »Sehr gut. Und bevor wir zur Entspannung kommen, aus dem Sonnengruß in die Vinyasa.«
    Was, fragte Cindy sich, während der Yoga-Lehrer beide Hände über den Kopf hob. Die Kursteilnehmer taten es ihm sofort nach, hoben die Arme, beugten sich vor und streckten dann rasch das eine Bein nach vorne, das andere nach hinten.
    Lindseys rechtes Bein schnellte zurück, und sie trat gegen Cindys Schienbein. Schuldbewusst drehte sie sich rasch um. »Sorry«, flüsterte sie.
    »Lindsey«, sagte Cindy, die Gelegenheit ergreifend.
    Lindsey drehte sich erneut um, während sie ihr anderes Bein ebenfalls nach hinten zog. »Mrs. Carver?«
    »Und nun gleiten Sie langsam in die Kobra«, erklärte Peter.
    »Ich muss mit Ihnen reden.«
    Wie alle anderen Kursteilnehmer ließ Lindsey sich auf ihren Bauch nach vorn sinken und hob die Arme, bevor sie sich zu einer Position erhob, die der Lehrer die Hundestellung nannte. Sie beugte sich vor und starrte Cindy durch ihre gespreizten Beine gleichsam auf dem Kopf stehend an. »Was machen Sie hier? Das verstehe ich nicht. Wo ist

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