Bevor der Morgen graut

Skilift, der sich gegen den Himmel abzeichnete. Es hatte den Anschein, alstrauere er um etwas, was ihm viel bedeutete. Als er fortfuhr, klang seine Stimme leiser, und die Worte kamen nur stockend: »Wir haben alle möglichen Wettkämpfe ins Auge gefasst, beispielsweise Wettschießen oder Kraftsport, Schwimmen, Sprint oder alles zusammen. Das Ergebnis war immer das Gleiche – keiner von uns wollte der Verlierer sein, der Hjördís dem anderen überlassen musste. Die Vorstellung, dass sie mit ihm zusammenleben, ihn womöglich heiraten und Kinder mit ihm kriegen würde, war unerträglich, und genauso der Gedanke, sich für immer fern halten zu müssen, allein und ohne Freunde. Und da entstand diese fantastische Idee. Ich weiß nicht, wer von uns sie zuerst ins Gespräch brachte, aber wahrscheinlich haben wir beide denselben Gedanken gehabt, bevor einer von uns ihn ausgesprochen hat. Auf jeden Fall sind wir beide sofort darauf abgefahren, einen Kampf auf Leben und Tod auszutragen, kompromisslos. Die Lösung war simpel und endgültig. Es würde bloß einer übrig bleiben.«
    Jóhann beugte sich über den Tisch und ließ beide Fäuste auf die Tischplatte krachen, während er den letzten Satz vollendete. Daraufhin schwieg er eine Weile, um zu sehen, wie Birkir reagierte. Als der aber keine Miene verzog, fuhr Jóhann fort: »Dann haben wir mit der Vorbereitung begonnen, und das hat unglaublich Spaß gemacht. Wir haben absolut hundertprozentige Spielregeln aufgestellt. Beide sollten genau die gleichen Chancen haben, und wer verlor, war verloren, tot. Es durfte aber kein Nachspiel geben. Es musste anschließend wie ein Selbstmord aussehen, damit der Überlebende nicht in Schwierigkeiten geriet. Shotgun haben wir das Spiel genannt.«
    »Aber die Vergewaltigung?«, fragte Birkir auf einmal. »Wie habt ihr euch das eigentlich vorgestellt, dass Hjördís sich mit einem von euch einlassen würde, nach dem, was da in Spanien vorgefallen ist?«
    Jóhann lachte schallend. »Die Vergewaltigung hat nie stattgefunden.Ich hab mir das ausgedacht, und die Idee war super«, antwortete er. »Das war nur so ein Schachzug, um euch ein bisschen zu verwirren und natürlich um Hjördís eins auszuwischen. Ich habe eure Aufmerksamkeit auf sie gelenkt, um sie ein bisschen ins Schwitzen zu bringen. Das hatte sie verdient, nachdem sie uns, ihre besten Freunde, die ganzen Jahre verarscht hat, indem sie behauptete, uns beide zu lieben, und zum Schluss stellte sich raus, dass sie nur eine dämliche Lesbe war. Und wegen dieser Lüge musste einer von uns sterben! Vielleicht kriegt sie auch noch eine Chance in diesem Spiel, wenn du nicht über die Runden kommst.«
    »Und die Postkarte und der Abschiedsbrief? Du hast gesagt, Hjördís hätte die Karte geschrieben.«
    »Sie hat nie irgendwelche Postkarten geschrieben. Leifur hat seiner Mutter selber geschrieben. Wir haben zwar irgendwann mal so im Spaß darüber geredet, dass derjenige, der beim Bowling verliert, zehn Postkarten für die beiden anderen schreiben müsste. Hjördís verlor, aber diese Karten wurden nie geschrieben.«
    »Und die Stoffstückchen aus den Anoraks?«
    »Ich hatte euch schon ganz schön heiß gemacht, als diese Nachricht in der Zeitung stand. Da wusste ich, dass ihr zuschlagen würdet.«
    »Hast du den Reporter auf Hjördís angesetzt?«, fragte Birkir.
    »Nein, aber das ist jetzt völlig nebensächlich. Ich habe die Stücke in einen unbeschriebenen weißen Umschlag getan und heute Morgen bei ihr in den Briefkasten gesteckt. Ich ging davon aus, dass ihr eine Hausdurchsuchung bei ihr machen würdet, und dann würden sie zum Vorschein kommen, entweder in ihrer Wohnung oder im Müll. Und wo waren sie?«
    »Im Müll«, sagte Birkir. »Du hast also diese Männer erschossen?«
    »Ja. Aber darauf kommen wir später.«
    »Und dieses Frage- und Antwortspiel?«
    »War nur so ein Vorspiel, um euch noch mehr zu verunsichern. Ich habe euch die anderen Hälften der Camo-Schnipsel geschickt und mir die Hotmail-Adresse eingerichtet, als ich erfuhr, dass du am Sonntag in der Alarmzentrale meiner Firma warst und nach mir gefragt hast. Ich wollte, dass ihr ein paar Tage über was anderes nachdenken musstet als über mich. Verdammt nochmal, war das komisch, als du zu mir nach Hause gekommen bist und mich nach McBain gefragt hast. Das war spitzenmäßig. Aber dieses Spielchen ist jetzt vorbei. Ich hab meinen Laptop hierhin mitgenommen und mich um zehn Uhr in meine Webmail eingeloggt. Die Antwort auf die