Bevor der Morgen graut
jetzt hörst, stirbt mit dir, verschwindet, löst sich in Nichts auf. Falls du siegen solltest – und ich versprech dir, dass du deine Chance bekommst – sterbe ich, und das Spiel ist aus. Dann ist es aber notwendig, dass jemand dieses Spiel den anderen erklären kann, denn es ist ein ganz besonderes Spiel und verdammt clever ausgedacht, verstehst du?«
»Ja.« Birkir nickte. Als er sicher war, dass seine Stimme ihn nicht im Stich lassen würde, fragte er: »Ist Hjördís auch hier?«
Jóhann grinste. »Ja, sie kam vorhin.«
»Ist alles in Ordnung mit ihr?«
Jóhann lachte. »Nein, sie ist ganz schön neben der Spur.«
»Ist sie verletzt?«
»Nein, aber ziemlich durcheinander. Vielleicht schwindlig vom Fliegen.«
»Wo ist sie?«
Jóhann wies mit der Flinte aufs Fenster. »Siehst du den gro- ßen Lift da draußen? Den mit den kleinen Gondeln.«
Birkir nickte: »Ja.«
»Sie ist in der Gondel, die da oben zwischen den höchsten Masten baumelt.«
»Hast du das Ding da hochgeschickt?«
»Ja. Ich hab mal in Italien an einem Skilift gearbeitet und kann mit so was umgehen.«
»Sie erfriert da oben.«
»Vielleicht.«
»Das ist abartig.«
»Sie hat einen warmen Overall an. Da sie es bei dieser Kälte geschafft hat, die ganze Strecke bis hierher mit dem Motorrad zu fahren, hält sie es bestimmt auch aus, ein paar Stunden in der Gondel herumzuschaukeln. In der Zwischenzeit haben wir Ruhe vor ihr.«
»Aber dein Kumpel, der Hüttenwart?«
»Mensch, bist du einfältig. Hier gibt’s keinen Kumpel. Ich habe einen Schlüssel für diese Hütten, denn meine Firma ist für den Kontrolldienst zuständig. Hierher kommt heute Nacht keiner. Ich musste dich nur irgendwie hierher locken, damit du an dem Spiel teilnehmen kannst, verstehst du?«
Birkir schüttelte den Kopf: »Was soll das Ganze?«
Jóhann grinste wieder. »Genau das wollte ich dir gerade verklickern und alles erklären.«
»Dann schieß los.«
Jóhann lachte. »Die ganze Geschichte begann da in Spanien im vorigen Sommer«, sagte er. »Angebahnt hatte es sich zwar schon vorher, aber von da an waren gewissermaßen die Weichen gestellt. Dort wurde die Idee zu diesem Spiel geboren, als Leifur und ich am Strand in der Sonne lagen und Hjördís beobachteten, die im Meer herumhüpfte, oben ohne natürlich. Wie gewöhnlich war sie da die Attraktivste am Strand, so groß und durchtrainiert wie sie war. Unheimlich fit und mit großen, knackigen Brüsten, braungebrannt und dazu die blonden Haare, die blauen Augen und die strahlend weißen Zähne, und dann dieses Lächeln, dassuper sexy war. Alle Männer am Strand starrten ihr hinterher, aber das schien sie überhaupt nicht zu bemerken. Man wusste gar nicht, wie einem geschah. Für mich und Leifur war es schon fast unerträglich geworden. Hjördís war seit langem die einzige wirkliche Frau in unserem Leben, aber sie sagte immer, sie würde uns beide lieben und könne sich einfach nicht für einen entscheiden. Wir hatten schon oft versucht, eine Antwort aus ihr rauszuholen, aber wir spürten, wie unangenehm es ihr war, wenn wir darauf zu sprechen kamen. Sie ging sofort auf Distanz und wich uns aus, aber als wir damit aufhörten, über eine mögliche engere Beziehung zwischen ihr und einem von uns zu reden, schien sie uns wieder zu akzeptieren. Auf jeden Fall entschloss sie sich, diese Reise mit uns zu machen, was aber die Qualen bei Leifur und mir nicht geringer machte.«
Jóhann grinste, nahm die rechte Hand von der Flinte und rieb sich provozierend im Schritt. Dann ging sein Monolog weiter: »Wir lagen also da am Strand und haben sie mit unseren Blicken verschlungen. Wir dachten wohl beide das Gleiche, aber Leifur hat zuerst die Sprache darauf gebracht und gesagt, er könne sich nicht vorstellen, dass jemals ein anderer Mann als er mit Hjördís zusammen sein würde, weder ich noch irgendein anderer. Ich erklärte dann, dass es mir ganz genauso ginge, und in diesem Moment wurde die Idee geboren. Zunächst diskutierten wir, ob wir in irgendeiner Form einen Wettkampf um Hjördís austragen sollten. Wer verlor, musste das Feld räumen, ins Ausland gehen oder so etwas, und dem anderen freie Hand lassen. Wir waren völlig überzeugt, dass einer von uns sie kriegen würde, sobald der andere aus dem Weg wäre. Sie hatte sich ja die ganzen Jahre für niemand anderes interessiert, wir waren ihre besten Freunde.«
Jóhanns Stimme versagte bei den letzten Worten. Er sah zum Fenster hinaus und blickte auf den dunklen
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