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Bevor der Morgen graut

Bevor der Morgen graut

Titel: Bevor der Morgen graut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Arnar Ingolfsson
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beide die gleichen Taschenlampen dabei, die wir nach Belieben verwenden durften. Das Dumme dabei war bloß, dass man sich mit dem Licht natürlich zur Zielscheibe machte. Ich hatte meine Taschenlampe allerdings angeknipst, als ich losging, und als ich sie nach fünf Minuten ausmachte, sah ich erst mal gar nichts. Totale Finsternis, an die sich die Augen gewöhnen mussten. Ich habe mich daraufhin ein paar Minuten lang nicht von der Stelle gerührt, bis ich mich zurechtfand. Und da fiel mir auch die Stille auf. Es ging überhaupt kein Wind, und die Natur gab keinerlei Geräusche von sich, Vogellaute oder dergleichen. Ich hörte nur meine eigenen Atemzüge, und unwillkürlich versuchte ich, lautlos zu atmen. Dann schlich ich ganz vorsichtig weiter. Plötzlich wurde mir aber etwas anderes klar. Leifur hatte bestimmt ebenfalls für den Kampf trainiert, und zwar nachts und genau hier. Das hier war also so etwas wie ein Heimspiel für ihn, und deswegen war er so sicher und entschlossen losgerannt, als wir auseinander gingen. Gelächelt hatte er auch. Es hätte nicht viel gefehlt, und ich wäre da in der Finsternis in Panik geraten, als ich das begriff. Eine Sekunde schoss es mir durch den Kopf, kehrtzumachen und zu fliehen. Der Schlüssel steckte im Auto, und ich hätte schon in Akureyri sein können, bevor er was gemerkt hätte. Aber dann hatten sich meine Augen ganz an die Dunkelheit gewöhnt, und mein Kampfgeist kehrte zurück.«
    Jóhann trank einen Schluck aus der Cola-Dose und rülpste laut. »Der Pfad war gut markiert, sodass es trotz der Dunkelheit relativ einfach war, ihm zu folgen. Ich wusste aber, dass ich mich ziemlich bald in die Büsche schlagen musste, sonst hätte ich ein zu einfaches Ziel abgegeben. Das Spiel war ja darauf angelegt, als Erster den Gegner auszumachen. Also verließ ich den Weg und tastete mich in der Lava vorwärts. Dabei kam ich natürlich nur sehr langsam voran, weil ich unheimlich genau aufpassen musste, wo ich hintrat, denn da waren ja überallLöcher, Spalten und Lavahöhlen. Außerdem musste ich darauf achten, mich nicht zu auffällig zu bewegen oder Geräusche von mir zu geben. Gleichzeitig musste ich natürlich auch nach Leifur Ausschau halten.«
    Jóhann zog den Kopf ein und schaute nach rechts und links, als würde er nach etwas suchen. Dann sagte er rasch: »Auf einmal sah ich ein kleines Stück vor mir einen Lichtschimmer. Ich blieb sofort stehen und hob das Gewehr.« Er verstummte für eine Weile und sprach dann in normalem Tempo weiter: »Das Licht war etwa fünfzig Meter entfernt, aber dann ging es aus. Leifur war also angetreten. Jetzt hatte ich den Kampfplatz erreicht, und das war gut. Ich war umgeben von hohen Lavazacken, und die Sicht war eigentlich gleich null. Ich legte mich auf den Bauch, kroch in die Richtung, wo ich das Licht gesehen hatte, und horchte. Die Stille war ungeheuerlich, und ich wagte kaum zu atmen. Meter für Meter arbeitete ich mich vorwärts ins Ungewisse. Das Adrenalin tobte durch die Adern, und ich wusste, dass ich jetzt nicht innehalten durfte. Wäre ich in diesem Augenblick in Deckung gegangen, hätte diese extreme Spannung mich überwältigt, ich hätte angefangen zu zittern und wäre wahrscheinlich nicht imstande gewesen, abzuziehen, auch wenn ich die Chance dazu bekommen hätte. Dann ging das Licht noch einmal für einen Augenblick an und erlosch wieder. Die Entfernung betrug etwa dreißig Meter. Ich kapierte überhaupt nicht, was Leifur da machte, und verlor die Geduld. Ich sprang hoch und gab drei Schüsse in die Richtung ab, wo das Licht aufgeleuchtet hatte.«
    Jóhann schwieg einen Augenblick. »Und dann kam plötzlich der Schuss, bumm.« Bei diesem Wort schlug Jóhann mit der flachen Hand auf den Tisch und ließ sich ruckartig zurückfallen, als sei er getroffen worden. »Das war der Schuss, der mich ins Gesicht getroffen und fast kampfunfähig gemacht hat. Er kamaber nicht von da, wo ich das Licht gesehen hatte, sondern ein ganzes Stück weiter seitlich davon.«
    Jóhann deutete nach rechts, als verberge sich dort ein unsichtbarer Gegner. »Darauf folgten zwei weitere Schüsse, und ich hörte die Schrotkugeln über meinen Kopf hinwegzischen, denn da lag ich schon am Boden. Ich lag in einer Vertiefung, und deswegen konnte Leifur nicht direkt auf mich zielen, aber mir gelang es, ihn ganz genau zu lokalisieren. Während ich meine Lage überdachte, lud ich nach. Ich wusste, dass ich verwundet war, aber mehr nicht. Deswegen lag es auf der Hand,

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