hatte. Mithilfe solcher Aschenschichten konnte man die darüber und darunter befindlichen Erdschichten datieren. Hier an dieser Stelle hatte es natürlich keinerlei praktische Bedeutung wie andernorts, wo diese Methode bei archäologischen Ausgrabungen unschätzbare Dienste leisten konnte, aber er konnte einfach der Versuchung nicht widerstehen, wenn er eine solche Gelegenheit bekam.
Einen halben Meter unter der Oberfläche sah er etwas Schwarzes und tastete mit den Fingern danach. Zu seiner gro- ßen Verwunderung fühlte es sich wie Kunststoff an. Er kratzte etwas Erde weg, um herauszufinden, um was es sich handelte.
»Ein Plastiksack?«, sagte er zu sich selbst. Grub er da vielleicht in einer alten Müllhalde? Nein, das konnte nicht sein, nicht hier, mitten in der Wildnis.
»Reich mir doch mal den Spaten«, rief er dem Baggerführer zu, der am Rand des Lochs stand und sein Pfeifchen schmauchte.
Er nahm den Spaten entgegen und entfernte damit etwas mehr Erde um diesen Gegenstand herum. Es schien etwas Längliches zu sein, das in schwarze Kunststofffolie eingewickelt war. Er riss die Umhüllung an einer Stelle auf und steckte den Finger hinein, bis er auf etwas Weiches stieß. Als er den Finger herauszog und daran roch, drang ihm der widerliche Gestank von Verwesung in die Nase. Er beeilte sich, den Finger an seinem Hosenbein abzuwischen, und im gleichen Augenblick wurde ihm klar, in was er da herumgestochert hatte. Wie von der Tarantel gestochen sprang er nach oben und schrie dem Baggerführer zu: »Da unten liegt was Totes.«
09:55
D ie Farbe ist die gleiche«, sagte Anna im Labor des Erkennungsdienstes, die eines der Stoffstückchen mit einer Stahlpinzette hielt und sorgsam mit Ólafurs Anorak verglich, der vor ihr auf dem Labortisch lag. Das Stück passte genau in das Loch, das heißt in die Hälfte des Lochs, denn es war offensichtlich zerschnitten worden, und das hier war die eine Hälfte.
Gunnar hielt noch das Blatt Papier in der Hand, das zusammen mit den Stoffschnipseln im Umschlag gesteckt hatte. »Er will uns eine E-Mail schicken«, sagte Gunnar. »Datum, Uhrzeit und E-Mail-Adresse.«
Alle schauten wie auf Kommando zur Uhr.
»Es ist fünf vor zehn«, sagte Gunnar.
»Wir können meinen Rechner benutzen«, sagte Dóra.
Wieder setzten sich alle in Bewegung und versammelten sich vor Dóras Computer. Sie tippte mit geübten Fingern die Adresse und das Passwort ein, worauf sich sogleich der Webmailer öffnete.
»Hier ist keine Mail«, sagte Dóra.
»Wie spät ist es?«, fragte Gunnar.
»Zehn«, antwortete Magnús.
»Halt, da kommt was«, rief Dóra.
Eine E-Mail erschien, Betreff: GUTEN MORGEN, IHR BULLEN. Absender:
[email protected]. Dóra öffnete die Mail, aber sie enthielt keinen Text.
»Was soll ich machen?«, fragte sie mit etwas zittriger Stimme.
»Lass mich mal.« Dóra stand auf, und Gunnar ließ sich auf ihren Bürostuhl fallen. Er drückte auf Reply with history, tippte dann mit zwei klobigen Fingern in Großbuchstaben: »WARUM?«, und sandte die Mail ab.
Alle hielten die Luft an, aber als nichts geschah, atmeten sie wieder tief ein, was fast wie ein enttäuschtes Stöhnen klang.
Doch dann ertönte ein leises Signal, eine weitere Mail erschien, die Gunnar sofort öffnete und vorlas: Du fragst, warum. Ich weiß nicht, ob es darauf eine Antwort oder eine Erklärung gibt …
10:15
D a Birkir am Abend vorher um halb elf zu Bett gegangen und entsprechend ausgeruht war, wachte er am nächsten Morgen um halb sechs auf und schaffte innerhalb vonanderthalb Stunden dreißig Kilometer. Das machte eine Laufgeschwindigkeit von zwölf Kilometern pro Stunde, für jeden Kilometer hatte er fünf Minuten gebraucht. Das war etwas langsamer als seine durchschnittliche Geschwindigkeit, mit der er meist die 42,2 Kilometer des Marathons bestritt. Seine Bestzeit im Marathon betrug drei Stunden und siebenundzwanzig Sekunden, die zweitbeste drei Stunden und vierunddreißig Sekunden. Er hatte es sich zum Ziel gesetzt, die Strecke irgendwann einmal unter drei Stunden zu schaffen.
Die anschließende heiße Dusche war eine Wonne gewesen, und dieses Gefühl hielt immer noch an, als er seine Kollegen verließ, die weiterhin um den Computer herumstanden. An diesem Morgen gab es genügend anderes zu tun, und Birkir fand, dass er sich mit diesen Mails genauso gut auch später befassen konnte. Er hatte die Dienstanweisung, sich noch einmal eingehender mit Ragnar, dem Schwiegersohn von Vilhjálmur, darüber